Denken Sie an einen beliebigen Eingriff. Eine Blinddarmoperation. Eine Zahnentfernung. Oder gar eine Amputation. Aber denken Sie nicht daran, wie es ohne Narkose weitergehen würde. Darüber sind wir im Normalfall mittlerweile hinweg. Dank gilt unter anderem der 1932 gegründeten Association of Anaesthetists, die heute im hübschen Londoner Viertel Marylebone in einem denkmalgeschützten Gebäude aus dem 18. Jahrhundert zu Hause ist, unter dem Motto: in somno securitas.

Oben im Haus geht es allerdings geschäftig zu, die Organisation ist nach wie vor schwer aktiv: mit täglichem Betrieb, 10.000 Mitgliedern und regelmäßigen Treffen. Dort werden neue Erkenntnisse und Entwicklungen diskutiert, es wird beraten und über Zukunftsvisionen am Sektor der Anästhesie diskutiert.

Im Untergeschoss allerdings ist es ruhig: bis auf das Piepen eines Überwachungsmonitors und die dazugehörigen Atemgeräusche, wie man sie aus dem Spital kennt. Hier ist das Museum für Anästhesie eingerichtet, samt Operationssaal mit Operationstisch, der von wichtigen medizinischen Geräten umzingelt ist: Narkose- und Beatmungsgerät, EKG-Monitor, Blutdruck- und Narkosegasmessung. Am Operationstisch liegt eine Art Fernbedienung, mit der man diese Instrumente einzeln ansteuern kann und von einem Audioguide Erklärungen erhält. Nicht allerdings in trockener Wissensvermittlung, sondern auch mit Berichten von Ärzten, die aus ihrer Tätigkeit in den 1950ern erzählen und sich erinnern, wie medizinische Notfälle damals abgelaufen sind. Durchaus amüsant und erschreckend zugleich.

Gegen den Schmerz

Schon seit Menschengedenken wurde bei Bedarf - also zur Schmerzbefreiung - mit verschiedenen Kräutern und Pflanzen experimentiert: etwa mit Bilsenkraut, Wasserschierling, Alraune, Stechapfel und Schlafmohn. In China arbeitete man bereits um 3.000 v. Chr. mit Akupunkturnadeln, die erst im 17. Jahrhundert in Europa landeten. Alkohol hingegen ist schon ewig Teil unserer Kultur, eignet sich aber nach wie vor nur äußerst bedingt zu Narkosezwecken, da zur Schmerzfreiheit eine Alkoholvergiftung herbeigeführt werden muss. Mit Eisblöcken jedoch wurden betroffene bzw. zu amputierende Körperteile über lange Zeit betäubt.

Noch Ende des 18. Jahrhunderts wurde bei Operationen mittels Hypnose, Mesmerismus und Magnetismus gegen Schmerz gearbeitet - viele Ärzte aber verweigerten diese Methode, weil sie sie für Hokuspokus ohne medizinische Grundlage hielten. Lachgas hingegen war zwar wirksam, aber als dekadente Partydroge verschrien und wurde deswegen nicht in den OP-Saal gelassen. Alles in allem also eher suboptimal. Not macht erfinderisch: Der amerikanische Zahnarzt William Morton hatte 1846 bereits einige Selbstversuche mit Etherdämpfen unternommen, und als ein Patient um Hypnose bei seiner Zahnentfernung bat, empfahl der Doktor Ether: die erste dokumentierte Vollnarkose. Die Öffentlichkeit wurde aufmerksam und Morton ans Spital von Massachusetts geladen, um in einer Operation unter Zeugenschaft von Fachkräften einen Tumor zu entfernen: auch diesmal mit erfolgreicher Betäubung. Damit war Ether als Narkotikum in der Schulmedizin aufgenommen.

Nur Monate später verwendete der Chirurg Robert Liston in London als erster Europäer Ether - für eine Beinamputation. Er war so begeistert, dass er ausrief: "Diese Glanzidee der Yankees, meine Herren, ist der Hypnose haushoch überlegen. Welch ein Glück! Wir haben den Schmerz besiegt!"

Wissenschaft siegt

Ganz so einfach war es allerdings nicht, es gab zahlreiche Rückschläge: Ether ist hochbrennbar, vielen Patienten wurde davon schlecht und der Stoff kann auch das Atemzentrum lähmen. Ebenfalls experimentiert wurde damals mit Chloroform, das aber Schäden auf Herz und Leber verursacht und als krebserregend gilt. Dennoch wurden anfangs in Ether oder Chlorform getränkte Stofffetzen auf Nase und Mund der Patienten gelegt. Weil aber weder Dosierung noch Verabreichung anstandslos funktionierten, wachten Patienten immer wieder während der Eingriffe auf und schrien, wie auch sonst, am Spieß.

Außerdem hatte ein Glaube überwunden zu werden, dass der Schmerz als eine Art Lebensretter bei Operationen diene und die endgültigen Grenzen veranschaulichen würde. Auch Kirche und Militär äußersten sich wiederholt gegen schmerzstillende Mittel. John Hall, der medizinische Leiter der britischen Armee, warnte vor dem Einrücken in den Krimkrieg (1853-1856) noch die Militärärzte vor dem Gebrauch von Betäubungsmitteln, selbst bei schweren Verletzungen oder Operationen: "However barbarous it may appear, the smart of the knife is a powerful stimulant; and it is much better to hear a man bawl lustily, than to see him sink silently into his grave." Bei einem Eingriff am eigenen Leib hätte John Hall womöglich kurzfristig anders entschieden, aber aus der Ferne ließ sich der heldenhafte Todesschmerz leicht zelebrieren.

Französische Chirurgen jedoch verwendeten im Krimkrieg 25.000 Dosen Chloroform für ihre verletzten Männer. Die Akzeptanz, Patienten ihren Schmerz zu nehmen, stieg zunehmend, die Wissenschaft setzte sich durch. Es wurde an präziseren Atemmasken und Inhalatoren gearbeitet, mit denen man die richtige Menge und Konzentration des anästhesierenden Dampfes verabreichen konnte. Einer der wichtigsten Innovatoren auf diesem Gebiet war John Snow: der erste hauptberufliche Anästhesist.

Sicherer Schlaf

Auch prominente Köpfe wie Charles Dickens setzten sich für Narkose ein: Er beteuerte insbesondere die positive Wirkung, die seine Frau bei der Geburt ihres Kindes gehabt hatte. Heute wird in England die Bemühung um Schmerzfreiheit den Innovationen des Viktorianischen Zeitalters zugutegehalten - was womöglich auch mit einer Schwangerschaft von Queen Victoria 1853 zu tun hat, die, als es ernst wurde, ebenso auf schmerzstillende Mittel zurückgriff und niemand Geringeren als John Snow zu sich bestellte.

Der nächste große Schritt war jener zur intravenösen Narkose, was insbesondere auf dem Gebiet der lokalen Betäubung Fortschritte brachte - um nicht immer den gesamten Patienten auszuschalten. Obwohl schon seit 1846 unter Anästhesie operiert wird, dauerte es in England bis 1935, dass eine eigene Ausbildungsmöglichkeit eingerichtet wurde. Heute zählen Anästhesisten zu den größten Berufsgruppen im Medizinwesen und die Ausbildung dauert mehrere Jahre - zurecht, da die Aufgabe sehr anspruchsvoll ist: Ein Anästhesist muss vor, während und nach der Operation völlig exakt auf den bewusstlosen Patienten achtgeben, die richtige Dosis durch den gesamten Verlauf manövrieren, und oft geht es um Not- oder Unfälle, bei denen schnell reagiert werden muss.

Krankenwägen jedoch waren lange Zeit nur auf den Transport von Kranken und Verletzten angelegt - nicht auf Behandlung und Betäubung, was zahlreiche Todesfälle zur Folge hatte. Im 19. Jahrhundert kamen zwar schon rudimentäre Erste-Hilfe-Kästen in die Wägen, aber es dauerte bis in die 1960er, dass Betäubungsmittel und später Defibrillatoren zum Standard zählen.

Lange also war der Weg, bis man zu einer ausgewogenen "Triade der Anästhesie" kam, wie sie in der Schausammlung bezeichnet wird: bestehend aus Schmerzmittel, Schlafmittel und Muskelentspannungsmittel. Nach dem Besuch des Londoner Museums für Anästhesie ist man froh, dass all diese Entwicklungen bereits stattgefunden haben - und dass man selbst nicht daran teilnehmen musste. Viel eher stellt sich eine große Dankbarkeit für die moderne Medizin ein.