Am Ende kann man hoffen, dass alles nur ein riesengroßes Missverständnis war. Es war kein Spionageballon, den China auf die Reise schickte, oder besser gesagt, es waren keine Spionageballons, die durch die Stratosphäre glitten (nach dem Abschuss über den USA tauchten gleich noch ein paar andere Himmelskörper an verschiedenen Stellen der Welt auf). Es war vielmehr eine Aktion für den Weltfrieden.

Wie kann man auf diese Idee kommen? Ganz einfach: Die Ballons tauchten fast auf den Tag genau 40 Jahre nach der Premiere von Nenas Welthit "99 Luftballons" am Himmel auf. Damals vor dem Hintergrund der letzten Phase des Kalten Krieges in den 1980er Jahren in Deutschland veröffentlicht, passt das Lied derzeit leider wieder wie die berühmte Faust aufs Auge. Die Idee zum Liedtext kam dem Band-Gitarristen Carlo Karges 1982 bei einem Rolling-Stones-Konzert in West-Berlin, als Mick Jagger am Ende der Show Ballons hochsteigen ließ, die der Wind in Richtung Mauer trug. "Carlo hat sich bei diesem starken Bild damals die Frage gestellt, was alles passieren könnte, wenn das jemand falsch versteht", erinnert sich Nena. Noch in derselben Nacht habe er den Text geschrieben und ihn Nena am nächsten Tag im Proberaum gezeigt. "Schon beim Lesen der ersten Zeilen lief mir ein Schauer über den Rücken und ich wollte das sofort singen. Ab dann war das nicht mehr aufzuhalten", sagt die Sängerin. Dabei habe die Plattenfirma damals gemeint, der Song habe "keinen Refrain" und sei "nicht kommerziell genug".

Die Ballons tauchten fast auf den Tag genau 40 Jahre nach der Premiere von Nenas Welthit "99 Luftballons" am Himmel auf. Damals vor dem Hintergrund der letzten Phase des Kalten Krieges in den 1980er Jahren in Deutschland veröffentlicht, passt das Lied derzeit leider wieder wie die berühmte Faust aufs Auge. 
- © APA/ERWIN SCHERIAU

Die Ballons tauchten fast auf den Tag genau 40 Jahre nach der Premiere von Nenas Welthit "99 Luftballons" am Himmel auf. Damals vor dem Hintergrund der letzten Phase des Kalten Krieges in den 1980er Jahren in Deutschland veröffentlicht, passt das Lied derzeit leider wieder wie die berühmte Faust aufs Auge.

- © APA/ERWIN SCHERIAU

Ballons und Frieden

"Der Nena-Song gehört nicht nur zur Geschichte der Neuen Deutschen Welle, sondern zur bundesdeutschen Politik- und Kulturgeschichte überhaupt. Dass der Song oft weniger politisch verstanden, sondern dass dazu getanzt, gelacht und mitgesungen wurde, mindert nicht seine historische Bedeutung", sagt Prof. Michael Fischer, Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik an der Universität Freiburg.

Illustration: stock.adobe.com / littlestocker - © Illustration: stock.adobe.com / littlestocker
Illustration: stock.adobe.com / littlestocker - © Illustration: stock.adobe.com / littlestocker

Ähnlich wie "Ein bisschen Frieden", mit dem Schlagersängerin Nicole 1982 den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewann, thematisiere der Song den Wunsch der Menschen nach Frieden. "Und dass Frieden neben Gerechtigkeit den zentralen Wert der Menschheit darstellt, dürfte angesichts der heutigen Kriege, insbesondere seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, überdeutlich sein", meint der Musikexperte. Allerdings scheint es doch zu optimistisch, dass China an Nenas Lied dachte. Der Ballon kann sowohl als Symbol für den Frieden wie auch für den Krieg stehen. Die Franzosen waren die vermtlich die ersten, die 1794 während ihres Konflikts mit Österreich Ballons zur Luftaufklärung eingesetzt haben. Durch den guten Überblick aus der Luft gelang es Frankreich in der Schlacht von Fleurus, die Aktivitäten des Feindes genauestens zu beobachten. Der Militärballon "Entreprenant" ist somit wahrscheinlich der erste Luftaufklärer in der Militärgeschichte. Auch im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) wie danach im Ersten Weltkrieg dienten Fesselballons etwa dazu, feindliche Truppenbewegungen auszukundschaften. Im Zweiten Weltkrieg benutzten die japanischen Streitkräfte die "Fugo"-Ballons, um Sprengstoff in Richtung der USA auf den Weg zu schicken.

Das aktuell vermutlich bekannteste Bild mit einem Ballon stammt vom britischen Street-Art-Künstler Banksy - Das Mädchen mit dem roten Luftballon. 
- © apa /afp, Tolga Akmen

Das aktuell vermutlich bekannteste Bild mit einem Ballon stammt vom britischen Street-Art-Künstler Banksy - Das Mädchen mit dem roten Luftballon.

- © apa /afp, Tolga Akmen

Höhenballons wie der über den USA abgeschossene bewegen sich in der Stratosphäre - also in der Schicht der Erdatmosphäre zwischen rund 15 und 50 Kilometern Höhe. Dort kommen sie Flugzeugen nicht in die Quere, da diese niedriger fliegen. Satelliten wiederum kreisen in deutlich größerer Entfernung um die Erde. Da sie ohne teure Raketen gestartet werden können, ist ihr Einsatz deutlich günstiger als der von Satelliten. Ein weiterer Vorteil: Von Ballons aus lassen sich einfacher hochauflösende Fotos und bessere Videos machen, da sie näher an der Erdoberfläche sind. Sie sind zudem für Radarsysteme schwer erkennbar. Ballons schweben, weil sie mit einem Gas gefüllt sind, das eine geringere Dichte als die Luft hat. Früher war es Wasserstoff, heute verwendet man Helium. Dadurch ist die Explosionsgefahr geringer. Die Hülle von Stratosphärenballons muss sehr dünn und gleichzeitig reißfest sein. Sie sei etwa 15 bis 25 tausendstel Millimeter dick und werde zum Beispiel aus Polyethylen-Harz hergestellt, erklärt der Folienhersteller RKW.

Und genau aus diesen Gründen sind Ballons für die Wissenschaft immer noch von großer Bedeutung. Selbst moderne Drohnen sind eher Ergänzung, denn Ersatz.

Der Ballon als erster erfolgreicher Versuch, den Menschen zu einem flugfähigen Individuum zu machen, reicht zurück ins Jahr 1783. Damals hob über Versailles erstmals ein bemannter Ballon ab: mit an Bord die Montgolfière-Brüder. Schon das italienische Wissenschaftsgenie Leonardo da Vinci experimentierte mit Heißluftauftrieb. 1513 ließ er heißluftgefüllte Heiligenfiguren aus Leinwand oder Papier zur Ehren der Amtseinführung von Papst Leo X. aufsteigen. Andere Wissenschaftler machten ähnliche Experimente, entwarfen Theorien und zeichneten Modelle. Im Dezember 1783 zog der Physikprofessor Jacques Charles (1746-1823) mit einem gummierten Seidenballon nach. Sein Ballon war mit Wasserstoff gefüllt und wurde "Charlière" genannt. Den Ballon ummantelte ein Netz, an dem ein kleines Boot hing. Seitdem wurden Ballons sogar zur Nonstop-Weltumrundung eingesetzt. Diese gelang 1999 dem Schweizer Psychiater Bertrand Piccard und dem britische Flugingenieur Brian Jones, die in 19 Tagen, 21 Stunden und 55 Minuten als erste Menschen in einem Heliumballon um die Welt flogen und am 21. März in der ägyptischen Wüste landeten.

Literatur und Kunst

Eine ähnliche Reise war auch die Handlung von "Fünf Wochen im Ballon" (Cinq semaines en ballon), dem ersten veröffentlichten Roman des französischen Schriftstellers Jules Verne. Der wissenschaftlich fundierte Reiseroman erschien im Jahre 1863 und machte Verne schnell in Frankreich bekannt. Auch ein früherer Kinderbuch-Klassiker hat einen Ballon als wesentliches Element, "Hatschi Bratschis Luftballon": Das Buch von Franz Karl Ginzkey erschein erstmals 1904 und wurde mehrfach in veränderten Fassungen neu aufgelegt. Es gilt als vielgelesener Klassiker der österreichischen Kinderliteratur und wurde gleichzeitig in der späteren Rezeption stark für seine rassistischen Darstellungen kritisiert.

Luftballone als Botschaften an den Himmel waren sowohl beim Chinesischen Neujahr als auch bei Hochzeiten lange Zeit essenzielle Bestandteile. Doch während die Neujahrslaternen bereits verboten sind, aufgrund der Brandgefahr, falls diese auf Gebäuden landen, sind die Hochzeitsluftballons vor allem aus ökologischer Sicht in der Kritik. Nicht nur, weil das Plastik selbst eine lange Haltbarkeit hat, sondern auch, weil sich immer wieder Tiere in den Ballonresten verfangen.

Somit ruht die Hoffnung noch auf der Kunst und dem dortigen Einsatz von Ballons. Das aktuell vermutlich bekannteste Bild mit einem Ballon stammt vom britischen Street-Art-Künstler Banksy - Das Mädchen mit dem roten Luftballon. Nicht nur bei der diesjährigen Verleihung der US-Musikpreise "Grammys" wurde der chinesische Ballon zum Teil der Popkultur erhoben. Im letzten Jahr sorgten etwa eine als Heißluftballon über dem Wasser schwebende Euter-Skulptur von Barbara Anna Husar, ein Schiffs-Triptychon und eine Komposition der in Vorarlberg lebenden Dänin Ronja Svaneborg für gelungene "Romanshorner Luftspiele" auf dem Bodensee. Es scheint somit, dass - wenn Wind und Wetter mitspielen - der Ballon weiterhin die Menschheitsgeschichte mitprägen wird. Ob als Forschungsballon beim Klimaschutz oder der Beobachtung von Wanderbewegungen von Tieren.

Vielleicht sollten auch mehr Menschen eine Ballonfahrt erleben, um aus einer anderen Perspektive zu erkennen, wie schützenswert und schön der Blaue Planet ist - und die Freiheit spüren.