Ich bin ein Hundetyp", sagt Shirlei und sieht ihren Arbeitskollegen mit einem Blick an, der kokett und vorwurfsvoll zugleich wirkt. "Was willst du denn mit einer Katze?", fragt sie ihn. Katzen seien doch treulos und arrogant. Um zu zeigen, wie ernst ihr die Sache ist, deutet Shirlei auf den Aufdruck ihres locker sitzenden Pullis. Neben einem Bild der Comichelden Charlie Brown und Snoopy prangt da eine klare Ansage: "If I can’t bring my dog I’m not going" - wenn ich meinen Hund nicht mitbringen darf, komme ich nicht. "Hunde sind nämlich wahre Begleiter", betont Shirlei.

Danny, ihr Kollege, ist nicht überzeugt: "Dein Ernst? Wenn ich abends nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme, hab’ ich doch keine Lust, angebellt und abgeschleckt zu werden. Meine Katze ist sauber und zurückhaltend." Und sie lasse sich nicht einfach von Frauchen oder Herrchen herumkommandieren, sondern habe ihren eigenen Kopf. "Deshalb muss ich eine Katze auch nicht ständig bespaßen." Shirlei schüttelt wortlos den Kopf und scheint sagen zu wollen: Mit so einem Mann könnte sie nicht zusammen sein.

Danny und Shirlei. - © Lill
Danny und Shirlei. - © Lill

Diese Unterhaltung ist so universell, dass sie sich überall auf der Welt in Kantinen, Kaffeeküchen oder Raucherecken von Arbeitsplätzen aller Art zutragen könnte. Aber wohl kaum irgendwo würde sie mit so einer Vehemenz geführt wie hier: Shirlei und Danny leben in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan - wo auffallend viele Menschen der Auffassung sind, dass die Wahl des Haustiers entscheidenden Ausschluss über die Charaktereigenschaften einer Person gibt. Und wo entsprechend immer wieder heiße Diskussionen ausbrechen.

Tierischer Charaktertest

In einem Großraumbüro der Kuomintang (KMT), der führenden Oppositionspartei Taiwans, der Shirley und Danny angehören, geraten die beiden jungen Erwachsenen regelmäßig aneinander. Wo sie sich aber einig sind: "Hundetypen sind schon eher wie Hunde: extrovertiert, treu und Teamplayer", sagt Shirlei. Woraufhin Danny ergänzt: "Ja, das stimmt. Ich bin zum Beispiel eher unabhängig und schüchtern. Um sich mit mir anzufreunden, braucht es vielleicht etwas länger. Wie eben mit einer Katze auch." Nach dem Motto: Sage mir dein Haustier und ich sage dir, wer du bist.

Im ostasiatischen 24-Millionen-Land funktioniert das Kennenlernen tatsächlich nicht zuletzt durch diesen Filter. Neben Shirlei, die ihre charakterlichen Zuschreibungen praktisch auf ihren Pulli gedruckt trägt, läuft Danny mit einem Schreibblock durch seinen Arbeitstag, der mit einem Katzenmotiv versehen ist. Auf Datingplattformen geben junge Menschen neben ihren Hobbys und Vorlieben häufig an, ob sie ein Hunde- oder Katzentyp sind. Immer wieder drehen sich Unterhaltungen hier um die zwei typischsten Haustierarten.

Das liegt auch daran, dass Haustiere in Taiwan boomen. Im Herbst 2020 machte die Information Schlagzeilen, dass im Land offenbar mehr Haustiere lebten als Kinder unter 15 Jahren. Gerade in der taiwanischen Hauptstadt sieht man nicht selten Tierbesitzer, die Hunde in Kinderwagen schieben. Oder Politikerinnen - wie die seit 2016 regierende Präsidentin Tsai Ing-wen - die medienwirksam mit ihren Katzen auf dem Arm posieren.

Bevölkerung schrumpft

Denn Haustiere nehmen im Land eine kaum zu unterschätzende Rolle ein: Nicht selten sind sie der Ersatz für Kinder. Nicht nur Präsidentin Tsai ist kinderlos. Die Reproduktionsrate, also die Zahl Kinder, die Frauen durchschnittlich im Leben zur Welt bringen, liegt in kaum einem Land so niedrig wie in Taiwan: Derzeit bei rund 1,24, was zwar eine leichte Erhöhung gegenüber dem Wert im Vorjahr während der Pandemie bedeutete, aber dennoch langfristig auf eine schrumpfende Bevölkerung hinausläuft.

Für eine konstante Bevölkerungszahl müsste die Reproduktionsrate - in Abwesenheit von Immigration - rund 2,1 betragen. Auch in diversen westlichen Ländern - darunter Österreich, Deutschland und die Schweiz - liegt dieser Wert nur etwas höher als in Taiwan, wird aber weitgehend durch positive Immigration ausgeglichen. Schrumpft langfristig die Bevölkerung, wird wiederum auch weiteres Wirtschaftswachstum umso schwieriger - denn die Zahl von Konsumenten und Produzentinnen nimmt ab.

In Taiwan lässt sich unterdessen kaum behaupten, dass die niedrige Geburtenrate allein durch einen geringen Kinderwunsch erklären lässt. "Es ist einfach zu teuer", sagt Danny in seiner Arbeitspause am Mittag. "Die Löhne in Taiwan sind für die meisten Menschen nicht hoch genug, damit man sich die vielen Ausgaben für die Kindererziehung leisten könnte." Auch Shirlei sagt: "Wenn ich nur daran denke, was meine Eltern alles für Geld für mich ausgegeben haben. Das ist heute leider nicht mehr bezahlbar."

Es ist ein Problem, das schon lange bekannt ist. Bereits vor knapp 20 Jahren zeigten Statistiken, dass das Kinderkriegen in Taiwan besonders teuer ist: Der spärliche Sozialstaat, was Elterngeld und ähnliche Unterstützungen angeht, ist hierbei nur ein Grund. Ein Demografenteam um den renommierten japanischen Bevölkerungsökonom Naohiro Ogawa errechnete im Jahr 2015, dass private Haushalte rund 69 Prozent ihrer monatlichen Ausgaben für die Ausbildung ihrer Kinder aufwendeten. Zum Vergleich: In Österreich lag dieser Wert nur bei knapp 6 Prozent.

Die durchschnittlichen monatlichen Kosten für zwei Kinder betragen in Taiwan rund 1.200 US-Dollar. Wie in anderen Ländern mit konfuzianischer Prägung ist es in Taiwan etwa üblich, die Kinder je nach Möglichkeit nicht nur auf eine Privatschule zu schicken, sondern ihnen auch noch Nachhilfeunterricht zu bezahlen. "Als Kind musste ich jede Woche zusätzlich zur Schulzeit acht Stunden Matheunterricht nehmen", erinnert sich Danny. Und Shirlei sagt: "Dann kamen Geigenstunden dazu." Man sei immer beschäftigt gewesen, und habe unter Druck gestanden, schließlich auf eine Top-Uni zu kommen und einen gut bezahlten Job zu erhalten.

Geld gespart

Nur löst der heute weitgehend prekäre taiwanische Arbeitsmarkt diese alten Versprechen, mit denen sich die hohen Ausgaben für Ausbildung zu rechtfertigen scheinen, häufig nicht mehr ein. So geben viele junge Menschen auf. "Ich hätte mal gerne Kinder gehabt", sagt Shirlei, "aber es ist mir zu stressig. Ich würde das, was ich meinem Kind dann auch ermöglichen will, sowieso nicht bezahlen können." Schlimm sei das aber nicht. Sie habe sich damit abgefunden: "Ich liebe meinen Pudel. Und mein Freund hat auch einen." Die beiden führten insofern quasi eine Doppelbeziehung.

Sind Tiere wirklich ein Ersatz? Nicht nur Shirlei reagiert verdutzt, auch Danny gefällt die Frage nicht. "Das lässt sich vielleicht nicht richtig vergleichen. Aber man spürt schon echte Nähe und Kameradschaft durch ein Tier." Und man spare Geld. "Jeden Monat gebe ich für meinen Hund je 20 US-Dollar für Besuche beim Haarsalon und für Snacks aus." Nur manchmal berge das Leben mit einem Hund auch Enttäuschungen, gesteht Shirlei.

"Letztens war mein Pudel länger bei meinen Eltern in meinem Heimatort. Ich habe meinen Eltern dann Leckerli für ihn geschickt." Aber als Frauchen und Hundchen sich wieder trafen, habe der Pudel nicht den Eindruck gemacht, dass er wüsste, wer ihm da die leckeren Snacks geschenkt hatte.