Betritt man das Grant Museum of Zoology in der Londoner University Street, ist man sofort umgeben von meterhohen Schaukästen, die vom Boden bis zum Plafond reichen: Links der Eingangstür sieht man ein kleines Etikett mit der Beschriftung "Pig Skulls", flankiert von altmodischen Glasvitrinen mit dunkler Holzumrahmung - und dutzenden Schweineschädeln. Darunter zu finden: Oktopusse, Kammquallen, Spritzwürmer, Schlangenköpfe und Kelchtiere mit innerem After sowie Priapswürmer: wegen ihrer Form auch "Penis Worms" genannt. Die Ausstellungsobjekte türmen sich überlebensgroß im gesamten Saal und drohen einen fast zu erschlagen, bevor man sich erst einmal orientiert inmitten der teils bizarren Forschungsexemplare. Dann allerdings entwickelt sich eine wohlige Atmosphäre wie in einem festlichen Bibliothekssaal: nur eben mit eingelegten Tieren statt Fachbüchern.

Das Museum wurde vom 1793 in Edinburgh geborenen Robert Edmond Grant gegründet. Der Zoologe und Anatom hatte zuvor in seiner Heimatstadt und in zahlreichen europäischen Städten studiert und auch ausgiebige Forschungswanderungen unternommen, ist etwa monatelang durch Tirol und die Schweiz marschiert - im Dienste der Wissenschaft. Später unterrichtete er in Schottland und forschte an der Idee von Evolution: schon lange, bevor Charles Darwins grundlegendes Werk "Über die Entstehung der Arten" 1859 das Licht der Welt erblickte. Grants radikale evolutionäre Thesen waren für den jungen Darwin - der in Edinburgh sogar Unterricht vom damals bereits promovierten Dr. Grant erhielt - ein großer Einfluss.

Ausgestorbene
leben länger

Eines der prominentesten Exponate: die Knochen des ausgestorbenen Vogels Dodo. - © Clemens Marschall
Eines der prominentesten Exponate: die Knochen des ausgestorbenen Vogels Dodo. - © Clemens Marschall

Als 1827 der Lehrstuhl für Zoologie und vergleichende Anatomie in London vergeben wurde, wurde Grant von sämtlichen Seiten dafür empfohlen und zog von Edinburgh an seine neue Forschungsstätte. Doch der ambitionierte Mittdreißiger fand an der Universität keine Lehrmaterialien für seinen Unterricht vor - und genau dieser Mangel legte den Grundstein für die bis heute erhaltene Sammlung.

Zweck war es also, der damals neu gegründeten University of London eine Lehrsammlung zu bieten. Fast 70.000 zoologische Exemplare beherbergt das Archiv, darunter einige der rarsten Skelette weltweit, wie etwa jenes der vom Menschen ausgerotteten Zebraform Quagga. In Grants Sammlung liegt das seltene Stück fast komplett vor. Fast deswegen, weil das linke Hinterbein irgendwann abhandenkam und erst 2015 mittels 3D-Drucker kreiert wurde. Heute steht das Quagga also auf vier Beinen in der Vitrine, und ganz ist die Hoffnung noch nicht aufgegeben, in der gigantischen Sammlung vielleicht doch noch auf das vierte Originalbein zu stoßen. Denn, so erzählt eine Mitarbeiterin über die ebenso ausgestellten Knochen eines selten zu sehenden Dodos, also des im 17. Jahrhundert ausgerotteten flugunfähigen Vogels: "Erst beim Umzug an diesen Museumsstandort 2011 haben wir diese Knochen als die eines Dodos identifiziert", sagt sie: "Zuvor waren die Dodo-Gebeine versehentlich zwischen unzähligen Krokodilknochen gelagert gewesen." Mittlerweile ist der Dodo entlarvt und wird als eines der prominentesten Ausstellungsstücke gezeigt.

Die Sammlung beinhaltet auch rare Glasmodelle der Blaschkas von Meerestieren und -pflanzen sowie ausgesuchte Modelle längst verschwundener Fische von Vernon Edwards. Manchmal erfolgte die Sammlungserweiterung aber auch ganz profan: Eine ebenso längst ausgestorbene Spezies von riesigen Rehen wurde direkt von der Wand eines Irish Pub ins Museum überführt.

Mithelfen bei der Walsäuberung

Nur ein kleiner Bruchteil der gigantischen Kollektion kann ausgestellt werden, aber es kommt immer wieder zu speziellen Gelegenheiten: 2017 wurden für ein Wochenende die Knochen eines acht Meter langen Wals aus dem Lager ins Museum geholt, und die Allgemeinheit wurde dazu eingeladen, sich am Reinigen der einzelnen Stücke des über 150 Jahre alten Meeressäugers zu beteiligen. Bei diesem Vorgang wollte man auch kontrollieren, ob das Tier vollständig erhalten wäre oder Knochen fehlten.

Der Wal war 1948 in Grants Museum gelangt und aus Platzgründen seither nie zusammengebaut worden. Zuvor hing der Riese vom Plafond eines Museums im englischen Ferienort Weston-super-Mare: Ob das wohl Inspiration für die Neugestaltung des zukünftigen Wien Museums am Karlsplatz war, wo in Zukunft die metallene Figur eines zehn Meter langen und 1,7 Tonnen schweren Walfisches vom gleichnamigen Prater-Restaurant von der Decke hängen soll?

Seit 1996 steht das Grant Museum of Zoology nicht nur Studenten, sondern auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. Es gibt nichts, was es hier nicht gibt - und das nicht aus Jux und Tollerei, sondern stets um den wissenschaftlichen Fortschritt bemüht. Die Studenten gehen (wie auch alle anderen Besucher) bei freiem Eintritt rein und raus und recherchieren an einem großen Tisch zwischen den Vitrinen. In einer abgetrennten Ecke sitzen vier Universitätsmitarbeiter und beraten einen Vortrag, während Angestellte durchs Museum gehen und Notizen machen: trotz der toten Exponate also ein überaus lebendiges Museum.

Explodierte Schädel
und vier Augen

Für einen Rundgang sollte man sich Zeit nehmen, um die einzelnen Vitrinen zu fassen: Große Töpfe mit eingelegten Maulwürfen und Fledermäusen stehen neben Schafsmagen und Krokodilherzen. Man stößt auf eine eigene Sektion namens "explodierte Schädel", mit den dazugehörigen Beispielen eines Krokodils, eines Pferds, eines Seehundes und einer Schildkröte. Eine Ecke weiter sieht man ein vieräugiges Opossum, das Skelett einer fünf Meter langen Python und 500 Millionen alte Fossilien. Ein Elefantenherz, so groß wie ein Medizinball, aber noch wesentlich schwerer, nämlich um die 30 Kilo, ist gegenüber eines gewaltigen Elefantenschädels platziert.

Die Kleinsten unter den Lebewesen

Das Micrarium hingegen beleuchtet in einem Minikabinett die kleinsten unter den Lebewesen: Schließlich heißt es, dass 95 Prozent der Tierarten kaum sichtbar sind und die meisten Museen ihre Vitrinen mit den oberen fünf Prozent füllen. Im Micrarium werden einige von 20.000 mikroskopisch untersuchten Spezies sichtbar gemacht.

Robert Edmond Grant etablierte sich schon in jungen Jahren in der Wissenschaft und gilt bis heute als Koryphäe. Der Professor gab - neben zahlreichen Vorträgen außerhalb des Universitätskontexts - mehr als 200 Vorlesungen pro Jahr und unterrichtete bis zu seinem Lebensende an der Londoner Universität. Die vorlesungsfreie Zeit verbrachte er auf Forschungsreisen zu Institutionen nach Paris, Berlin, Brüssel und Utrecht. Für ein Privatleben blieb da wenig Zeit, verheiratet war Grant bis zu seinem Tod 1874 mit der Wissenschaft. Und diese Ehe lässt sich bis heute erforschen und bestaunen.