Betritt man die groß angelegte Anlage im östlichen Abseits von London, steigen einem zur Begrüßung faulige Abwasserduftwolken in die Nase: Die historische Crossness Pumping Station ist zwar nicht mehr als solche in Betrieb, aber direkt daneben liegt eine Kläranlage, die nach wie vor für ein authentisches Geruchserlebnis sorgt.

Man steigt in eine Liliputbahn, die früher dem Kohletransport diente, und tuckert mit Quietschen, Krachen und in Zeitlupe vorbei an rostigen Maschinenteilen, Richtung Zentrale. Ein wildes Gebiet im Niemandsland mit zahlreichen Nebengebäuden, in denen weitere Maschinen stehen, auf denen sich Erwachsene wie auf einem Spielplatz austoben. Es raucht und scheppert, was das Zeug hält. Unterhaltung pur.

Nicht ohne meinen Helm: Die Halle der Crossness Pumping Station empfängt einen mit Prunk und Glorie. Die Londoner Abwasseranlage steht unter Denkmalschutz. - © Charlotte Maconochie
Nicht ohne meinen Helm: Die Halle der Crossness Pumping Station empfängt einen mit Prunk und Glorie. Die Londoner Abwasseranlage steht unter Denkmalschutz. - © Charlotte Maconochie

Die Schlange vor dem technischen, architektonischen und ästhetischen Abwasserpalast ist lang. Hier wird Recycling anhand der Besucher betrieben: Sie warten beim Eingang auf Helme und Schutzbrillen, die die Gäste am Ausgang retournieren. Die Menschen gehen im Kreis - so wie das Wasser, das nach der Klärung wieder zurück in die Haushalte kommt.

Während der Wartezeit kann man sich Toiletten, Klopapierhalter, Spülungen und Nachttöpfe aus verschiedenen Perioden ansehen: vom primitiven Holzhocker mit Loch in der Mitte über einen wertvollen Porzellanthron bis zu Innovationen wie abgespacten Klos auf Weltraumstationen und Zukunftsvisionen der menschlichen Entleerung. In einer eigenen Abteilung werden "unusual toilets" präsentiert: mit integriertem Aquarium, als fahrbarer Untersatz oder in der Erscheinung der Mutter Gottes. Bitte aufs Spülen nicht vergessen! Amen.

Gefährliche Lüftchen?

Daneben wird gezeigt, womit man sich vor der Erfindung von Klopapier half: Sand, Muscheln, Maiskolben, Moos, Stroh sowie zerschnittene Seiten aus Büchern und Zeitungen. "Nur der ‚Daily Telegraph‘ hatte keinen guten Ruf", sagt ein Museumsmitarbeiter im historischen Kostüm und muss sich das Lachen verkneifen: "Die Druckerschwärze soll dabei stark abgefärbt haben."

In der Halle erschlägt es einen förmlich vor Prunk und Farbe: Man fühlt sich wie in einem rot-grün-lackiertem Steam-Punk-Juwel aus dem viktorianischen Zeitalter - keinesfalls wie in einer Abwasseranlage. Ziergitter mit farbigen Blumen und verschnörkelten Ornamenten, Säulen und wunderbare Maschinenungetüme glänzen rund um Kesseln, Pumpen und Räder. Dazwischen wuseln die behelmten Besucher umher.

1831 kam es in London zum Ausbruch von Cholera. Das Resultat: 6.500 Tote. Daraufhin wurde am Zusammenhang zwischen Seuchen und desolaten Lebensverhältnissen geforscht: ein bis dahin sträflich vernachlässigtes Gebiet. Bis in die 1850er Jahre suchten weitere Cholera-Ausbrüche die damals mit etwa 2,5 Millionen Einwohnern größte Stadt der Welt heim. 1858 schließlich kam es zum bis heute bekannten "Great Stink", der die Stadtbewohner in die Flucht zwang, nachdem ungefiltertes Abwasser mit Hausmüll und Abfall in der Themse durch stechende Sommerhitze seinen garstigen Gestank über London gelegt hatte.

Massive Aufgaben erfordern massive Konsequenzen. Joseph Bazalgette, Chefingenieur des Metropolitan Board of Works, erhielt nun den Auftrag, das Abwassersystem grundlegend zu reformieren: ein Held der Ingenieurskunst. Noch heute sind Büsten von ihm in der Pumpstation zu sehen. Bis dahin war die Themse im Grunde ein offener Abwasserkanal mit allem, was man nicht sehen oder riechen wollte - dafür ohne Fische oder andere Lebewesen: Auch denen war das Wasser zu dreckig.

Bazalgette entwarf nun unterirdische Abwassersammler, durch die jährlich 140 Milliarden Liter schmutziges Wasser flossen. Seine Mission war es allerdings nicht - und das sei der damaligen Zeit geschuldet -, die Abwässer zu behandeln und zu reinigen, sondern sie loszuwerden - weit draußen am offenen Gewässer. Diese Strategie wurde übrigens in London bis vor 25 Jahren beibehalten.

Wie damals viele, so war auch Bazalgette ein Anhänger der sogenannten Miasmentheorie: Diese besagt, dass sich Krankheiten und Seuchen über schlechte Luft ausbreiten. "Ein angesehener Wissenschafter kannte einen berühmten Fall", erzählt eine Museumsmitarbeiterin: "Er glaubte, bewiesen zu haben, dass die Frau eines Metzgers allein durch den Geruch von Rindfleisch adipös geworden sei. Bis heute hält sich bei manchen der Glaube, nur vom Hinschauen auf eine Torte schon die Kilos aufgebrummt zu bekommen."

Nonstop Abwasser

Die Crossness Pumping Station - entworfen vom Architekten Charles Henry Driver und errichtet von 1859 bis 1865 - wurde zu einem tragenden Teil des Londoner Abwassersystems. In dem mit intensiven Farben üppig ausgestattetem Bauwerk findet man spektakuläre Gusseisengeräten und vier Original-Dampfmaschinen: wahrscheinlich bis heute die weltweit größten Rotationsstahltriebwerke, mit Schwungrädern und Trägern, die jeweils 52 Tonnen wiegen.

Diese Giganten erledigten die Hauptarbeit im Abwassersonderungsprozess und wurden bei der Einweihung nach der Royal Family benannt: Victoria, Prince Consort, Albert Edward und Alexandra. Doch dass die Abwässer aus einer Stadt, wo der reiche Bevölkerungsteil traditionellerweise im Westen wohnt, im teils verslumten Osten landeten, sollte trotz dieser inszenierten Volksnähe nicht unerwähnt bleiben.

In den 1950er Jahren schloss die Crossness Pumping Station ihre Tore, die Räder standen lange still. Erst 1987 wurde der Crossness Engines Trust von motivierten Ingenieuren gegründet, der sich seither um die Instandhaltung und Öffnung des Schmutzwasserschlosses kümmert. Zum Glück der Ingenieure war alles unverändert geblieben. Warum? "Weil der Abtransport dieser tonnenschweren Geräte einfach zu viel gekostet hätte", erläutert die Mitarbeiterin. "Als wir kamen, war das Gebäude verwildert und verfallen: Wir hatten eine Menge Arbeit."

Weil das Abwasser keine Pause zwischen Mitternacht und acht Uhr Früh macht, sondern rund um die Uhr fließt, wurden auf dem Gelände eigene Gebäude für Mitarbeiter errichtet: So war eine 24-Stunden-Sitzung gewährleistet. Die Angestellten sollen dort übrigens recht gutes Gemüse angebaut haben. Aber auch sie werden in ihren Pausen wohl auf den "Daily Telegraph" verzichtet haben.