Es ist die nächste Pandemie mit der unsere Gesellschaft zu kämpfen haben wird: Immer mehr Menschen leiden an depressiven Symptomen. Besonders die jüngeren Generationen sind betroffen. Ein Trend, der sich schon vor 2020 abzeichnete, durch die Ereignisse der letzten Jahre jedoch verstärkt und beschleunigt wurde. Für über ein Viertel der 16- bis 69-Jährigen in Österreich hatte allein die Pandemie negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, berichtete die Statistik Austria in der jüngsten "So geht’s uns heute"-Studie Ende 2022. Dass der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und das Voranschreiten der Klimakrise die Situation weiter verschlechtern ist fast zu erwarten. Genaue Zahlen gibt es dazu allerdings noch kaum. Wer nun einen Kassenplatz erhält, darf sich glücklich schätzen. Eine Besserung der mentalen Verfassung muss dadurch allerdings noch nicht vorprogrammiert sein.

Renaissance des Rausches

Es mag deshalb anfänglich ungewöhnlich klingen psychedelische Drogen als ein potenzielles Heilmittel in Betracht zu ziehen. Jedoch erfahren LSD & Co auf der Suche nach einer wirksamen Methode für die Behandlung von Depressionen gerade ein Comeback. Der Grund erklärt sich aus den bewusstseinserweiternden Eigenschaften der Substanzen. Ihre Wirkung geht weit über bloße Halluzinationen hinaus. Festgefahrene Denkweisen werden aufgebrochen, was Raum für Neue schafft.

Während die Forschung hier gerade Fahrt aufnimmt, ist der Ansatz einer Psychedelika-unterstützten Therapie lange nicht neu. Teils immer noch verschrien als "Hippiedroge" finden sich die eigentlichen Ursprünge der Substanzen in der medizinischen Forschung. Die moderne Geschichte der Psychedelika begann in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. 1938 stellte Albert Hoffmann während seiner Forschung am Mutterkornpilz unabsichtlich Lysergsäurediethylamid her, besser bekannt als LSD. Durch Eigenversuche entdeckte er die Wirkung seines Versehens. Sein Kollege Gordon Wasson entdeckte zwanzig Jahre später auf einer Mexikoreise die Wirkung psychedelischer Pilze für die Medizin. Sowohl LSD als auch die "magic mushrooms" wurden Hoffnungsträger in der Behandlung von Alkoholsucht und zur Unterstützung therapeutischer Sitzungen. Als in den späten 60ern vor allem LSD immer mehr Anklang unter der Bevölkerung fand, wurde die Politik auf die Psychedelika aufmerksam. Mit Präsident Nixons ideologischem "War on Drugs" und einer Einstufung als "Schedule-I"-Substanz, der höchsten Gefährlichkeitsstufe für Drogen, verklang nicht nur die Forschung in Amerika auf einen Schlag. Für Jahrzehnte sollte zumindest im westlichen Raum die Forschung ihres medizinische Nutzens vollkommen erliegen. Bis sie Anfang des neuen Millenniums wieder aufgenommen wurde. Wieder in der Gegenwart angelangt forschen Gerhard Gründer und sein Team am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim an Psilocybin als potenzielle Behandlung bei schweren Depressionen. Die Studie mit dem Titel "EPIsoDE" erfolgt in Zusammenarbeit mit der Charité in Berlin und der MIND European Foundation for Psychedelic Science. Bekannt ist Psilocybin als der halluzinogene Wirkstoff der "magic mushrooms" eben so magisch macht. Ziel der Forschungsgruppe ist es durch eine Kombination aus psychedelischen Erfahrungen und Psychotherapie "behandlungsresistenten" Patienten, also Personen bei denen bisherige Methoden keine Wirkung gezeigt haben, einen neuen Weg aus der Depression zu ermöglichen.

"Schon eine Einmalgabe führt zu tiefgreifenden Veränderungen der Hirnstruktur", so Gründer. Er spricht von synaptischer Plastizität, also der Entstehung neuer Verbindungen zwischen Nervenzellen. Bestimmte Verbindungen werden locker, andere entstehen völlig neu. Es kann so weit gehen, dass die Kommunikation zwischen Hirnarealen verändert wird. Auf den Menschen wirkt sich dies häufig als eine fast mystische Erfahrung aus. Psilocybin intensiviert die Sinneswahrnehmung und geht nicht nur mit einer Veränderung der Wahrnehmung der Umwelt, sondern auch der eigenen Person einher. Der Zugang zu den eigenen Emotionen verändert sich unter dem Einfluss der Substanz. Gerade diese neu gewonnen Einsichten zur eigenen Gefühls- und Gedankenwelt will die Forschungsgruppe dann in einer anschließenden Psychotherapie nutzen. Die physiologischen Veränderungen im Gehirn beschreibt Gründer wie ein "biologisches Fenster", durch das neue Lernprozesse angestoßen werden können. Schlussendlich könnte das den entscheidenden Schritt aus der Depression bedeuten.

Nicht ohne Risiko

Gründer spricht von einer psychedelischen Erfahrung und vermeidet das Wort Trip. "Es geht hier nicht um Spaß, Begriffe aus dem Freizeitbereich können das aber nahelegen", erklärt der Psychiater, "schlussendlich gehe es hier immer noch um eine Form der Therapie". Angst, dass die fortschreitende Forschung allerdings vermehrt zur versuchten Eigentherapie mancher Menschen führen könnte, hat er nicht. Untergrundtherapeuten würde es immer geben, aber er betont wie viel risikoreicher das sei: "Diese Personen bauen auf ihre Selbstheilungskräfte; das kann aber auch schief gehen", so Gründer.

Ein medizinisches Setting in einem kontrolliertem Umfeld sei deshalb nicht nur sicherer, möglicherweise ist die Wirkung auch nachhaltiger. Die Lernprozesse, die sich durch Psilocybin eröffnen und schlussendlich eine Heilung versprechen könnten, können in der Therapie gelenkt werden. Bei einem Selbsthandlungsversuch würde gerade dieser Schritt wegfallen.

Während erste Studienerfolge vielversprechend sind, ist man mit einem gewissen Maß an Vorsicht trotzdem gut beraten. Die Chance eine Psychose zu erleiden ist auch im medizinischen Umfeld gegeben, sei aber geringer. "Nicht jeder ist für eine Behandlung mit Psilocybin geeignet", erklärt Gründer und verweist auf eine genaue Patientenauswahl. Bei Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsstörungen wäre das Risiko einer Psychose höher, weshalb eine Teilnahme bei der Studie von vornherein ausgeschlossen ist.

Aber auch für gefestigte Personen werden Schutzvorkehrungen getroffen. Dass es eher die Regel als die Ausnahme ist während der Behandlung Angst zu verspüren, sei normal, nach Gründer. Anstatt den negativen Gefühlen aus dem Weg zu gehen, wird geraten sich ihnen zu öffnen. "Auch wenn es anfänglich unangenehm ist, kann es hilfreich sein sich zu fragen, woher die Angst eigentlich kommt", erklärt er. Wichtig sei in jedem Fall auf sein Therapeutenteam vertrauen zu können: "Um mit dem Patienten Vertrauen aufzubauen, braucht es ein paar Stunden und dafür nehmen wir uns Zeit", betont der Psychiater.

Zeit ist der entscheidende Faktor hier. Während Lösungen für ein Problem häufig sofort gebraucht werden, ist die Sicherheit einer neuen Behandlung oft erst nach Jahren gegeben. Bei entsprechend positiven Studienergebnissen lässt sich ein Einsatz Psilocybins in der Therapie nicht früher als fünf bis zehn Jahre schätzen. Bis dahin brauche es Langzeitstudien. Nur möglichst groß angelegte Studien, um sich von der Sicherheit des Psychedelikums in der Therapie zu überzeugen, versprechen auf lange Sicht Heilung.