Ja, tatsächlich: An Winston Churchill scheiden sich die Geister. Morgen, Samstag, jährt sich der Todestag des britischen Premierministers, der seine Nation in den Kampf gegen den Nationalsozialismus führte, zum 50. Mal. Gilt den meisten Historikern Winston Leonard Spencer-Churchill als heldenhafte Gestalt und bedeutendster britischer Politiker des 20. Jahrhunderts, so gibt es auch Stimmen, die in ihm einen Abenteurer und Hasardeur sehen und meinen, er habe in der Konferenz von Jalta zu viele Interessen eines durch ihn repräsentierten demokratischen Europa aufs Spiel gesetzt und dadurch die Sowjetunion und die USA als neue Supermächte zugelassen. Doch darüber sollen sich die Geschichtswissenschafter ihre Köpfe heißdebattieren - eines bleibt unbestreitbar: Churchill ist der Erfinder des bekanntesten Handzeichens aller Zeiten: des von Zeigefinger und Mittelfinger gebildeten "V" für "Victory". Hinter diesem Zeichen kämpfte und duldete und litt eine Nation für Freiheit und Demokratie.
Doch ist er überhaupt der Erfinder des Zeichens? Da gibt es verschiedene Legenden. Eine davon nimmt sich aus - nein, nicht wie ein Krimi, eher wie eine Horrorgeschichte. Denn in ihr spielt der britische Satanist Aleister Crowley (1875-1947) eine Hauptrolle.
Wahnsinn mit Methode
Nun gut, geschichtlich gesichert ist die Sache nicht, und Crowley hat manches behauptet. "Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz", war das Credo des von ihm geschaffenen anti-christlichen Glaubenssystems. Auf wenige von Menschen ersonnene Glaubenssysteme trifft ähnlich genau zu, was William Shakespeare Polonius über Hamlet sagen lässt: "Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode." Während die meisten solcher Glaubenssysteme der Tollheit ganz ohne Methode zuneigen, steckt hinter Crowleys Philosophie durchaus ein System, wenngleich eines, das höchst heterogen zusammengesetzt ist und Elemente enthält, die auf Missverständnissen oder reinem Hörensagen beruhen.
Als Person war Crowley schillernd - und dieses Wort ist eindeutig ein Euphemismus für einen Mann, der, um nur ein paar Eckpunkte zu nennen, 1902 als Teilnehmer einer britisch-österreichischen Expedition unter der Leitung von Oscar Eckenstein an einem Rekord bei der Erstbesteigung des K2 teilhatte, ungeachtet der Tatsache, dass der Gipfelsieg missglückte; der im Ersten Weltkrieg von den USA aus antibritische Propaganda trieb und gleichzeitig für die Briten spionierte; der 1920 auf Sizilien die Abtei Thelema gründete und den Thelemiten gebot, sich den Kopf bis auf eine phallusartige Locke kahl scheren zu lassen (was wohl Glatzköpfen die Aufnahme in die Abtei unmöglich machte); der 1930 in Portugal einen Suizid vortäuschte in der Hoffnung, von der Bildfläche verschwinden zu können, um Adolf Hitlers okkulter Berater zu werden - "ehedem Hitler ward, bin ich!", äußerte Crowley in Anspielung auf Christi Wort "ehe denn Abraham ward, bin ich".
Kein Wunder, dass Crowley Stoff liefert für Literatur und Film - und das schon zu Lebzeiten: William Somerset Maugham schreibt 1908 seinen Roman "The Magician" (Der Magier), in dem der Okkultist Oliver Haddo eindeutig Crowleys Züge trägt. 1926 verfilmt Rex Ingram das Buch mit Paul Wegener in der Rolle des jungfrauenschlachtenden Magiers. Im Jahr von Crowleys Tod dreht Jacques Tourneur "Night of the Demon" mit einem Crowley ähnlichen Magier, der einen Feuerdämon beschwört, und 2008, also lange nach Crowleys Tod, bringt dann Bruce Dickinson, Sänger der britischen Heavy-Metal-Band Iron Maiden, den Film "Crowley - Back from Hell" heraus, in dem Crowley den Körper eines Dr. Haddo in Besitz nimmt. Heute führen außerdem Esoterik-Läden aller Länder diverse Schriften Crowleys und selbstverständlich das von ihm gestaltete Tarot.
Ein ägyptisches Ritual
Dass der offenbar hitleraffine Crowley gerade den vom ersten Moment an schärfsten Gegner Hitlers, der Churchill zweifellos war, mit einem antinazistischen Symbolzeichen versorgte, ist dennoch durchaus denkbar. Loyalität war keine der starken Seiten des Satanisten - und da war auch noch die aus der Spionagetätigkeit im Ersten Weltkrieg stammende Beziehung zum Secret Intelligence Service, dem späteren MI6. "Tu, was du willst" scheint auch in politischen Belangen Crowleys Bekenntnis gewesen zu sein.
Jedenfalls hatte Crowley 1910 in "The Equinox I" ein im Zusammenhang interessantes Ritual veröffentlicht. Er bezieht sich darin auf die ägyptische Mythologie. Seiner Interpretation nach tötet Apophis, Gott von Auflösung, Finsternis und Chaos, Osiris, den Gott des Jenseits und der Auferstehung, und löst damit die Trauer von Osiris’ Frau Isis aus. Crowley symbolisiert die Trauer der Isis mit dem hier noch nicht ansatzweise nazistisch belasteten alten Symbol des Hakenkreuzes und Apophis mit einem V, das keine buchstäbliche, sondern allein eine magische Bedeutung hat. Da Apophis-V die Trauer von Isis-Hakenkreuz auslöst, versteht Crowley in der Folge das V als Triumph über das Hakenkreuz. Damit wäre Churchills Zeichen durchaus begründet - rein ritualmagisch gesprochen...