Wiener Unikum: Bei keiner anderen Stadt wurde die Erweiterung so öffentlich gemacht. - © Wienmuseum
Wiener Unikum: Bei keiner anderen Stadt wurde die Erweiterung so öffentlich gemacht. - © Wienmuseum

"Da kommst du durch keine einzige breite und gerade Straße, alle sind krumm, schmal, winkelig, finster und meist so eng, dass man nicht weiß, wie man den Fiakern ausweichen soll." So beschrieb ein Reisender Ende des 18. Jahrhunderts Wien. Heute vergisst man ob der Pittoreske der kleinen Gässchen der Innenstadt gern: Weiträumiger war Wien damals nicht. In einer Zeit, in der Wiens Bevölkerung immer mehr wuchs, in der andere Metropolen wie Paris längst ihre Stadtbefestigungen abgerissen hatten, war Wien immer noch mittelalterlich geprägt. Das muss man sich vor Augen halten, will man verstehen, welch massiver Eingriff der Bau der Ringstraße, dessen 150-jähriges Jubiläum heuer mannigfaltig gefeiert wird, eigentlich war. Die neue Ausstellung im Wien Museum versucht, das zu vermitteln. In "Der Ring. Pionierjahre einer Prachtstraße" beschränkt sich Kurator Andreas Nierhaus zwar auf die Jahre 1857 bis 1865: 1857 wurde in der "Wiener Zeitung" der "Wille" von Kaiser Franz Joseph veröffentlicht, die Stadtmauer abzureißen und das Glacis zu verbauen; 1865 wurde die Ringstraße feierlich eröffnet. Fertig war sie da freilich noch lange nicht. Und doch waren es diese Jahre, die die Weichen dafür stellten, dass Wien eine moderne Großstadt werden konnte.

Fenstergucker-Prozession

Die Schau präsentiert nicht nur den Entwurf dieses kaiserlichen Handschreibens (das Original wurde beim Justizpalastbrand zerstört), sondern auch Einreichungen zum daraufhin veranstalteten Planungswettbewerb (damals eine "Weltsensation", so Museumsdirektor Wolfgang Kos). 509 "Concurrenten" hatten Interesse angemeldet, 85 Projekte eingereicht, 27 erhaltene Projekte blättert die Schau via Projektion durch. Mit der nötigen Ruhe entdeckt man, welche Ideen übernommen wurden und welche verworfen wurden (zum Beispiel eine unterirdische Straßenbahn).

Prunkvoller Dekor: Herme des abgerissenen Heinrichshofs.
Prunkvoller Dekor: Herme des abgerissenen Heinrichshofs.

Im anschließenden Teil widmet man sich den Abbrucharbeiten. Dass die Wiener schon damals Gespür für einen würdigen Abschied hatten, zeigt die Demontage des Kärntnertores. Dort gab es einen beliebten Fenstergucker, der wurde abgenommen (er ist in der Sammlung des Wien Museums). Die zeitgenössische Beschreibung der Vorgänge ist anschaulich: "Der Akt war einem Leichenzug nicht unähnlich."

Fotos zeigen die Entwicklung der Votivkirche - für die das geplante Budget bereits im Jahr 1862 aufgebraucht war, die Stadt Wien sprang für die Türme ein. Großformatige Kohlezeichnungen von Moritz von Schwinds Zauberflöten-Zyklus für die Hofoper werden gezeigt. Aber auch ein Vorschlag für das Opernhaus von Ferdinand Kirschner, der es trotz gravierender Einfallslosigkeit auf den vierten Platz des Wettbewerbs geschafft hat. Pläne und Fotos zeigen die Palais des Großbürgertums - das ja nicht die prioritäre Zielkundschaft für die Ring-Parzellen gewesen war, das hätte der Adel sein sollen. Ein Plan zeigt, dass 1865 noch nicht einmal ein Fünftel der Bauparzellen verkauft war, nach der Schlacht von Königgrätz 1866 gab es den schlimmsten Einbruch an Interessenten. Besondere Stücke der Schau sind zwei Hermen vom nach Bombentreffern abgerissenen Heinrichshof, dem einst "schönsten Zinshaus von Wien". Sie demonstrieren, wie mit Prunk der gesellschaftliche Unterschied der großbürgerlichen Eigentümer zum Adel kompensiert werden sollte.

Dass die Zeitgeschichte nicht stehen geblieben ist, während sich Wien aus dem Baustellenstaub heraus ein neues Gesicht gegeben hat, zeigen Bodenmarkierungen, die daran erinnern, was sonst in der Welt passiert ist. Etwa dass im Jahr, in dem die Abbrucharbeiten an der Stadtmauer beginnen, in London wegen unerträglichen Gestanks ein Abwassersystem gebaut wurde. Ein Raum führt in die jüngere Geschichte, in der etwa 1970 noch Demonstrationen nötig waren, um das Haus Schottenring 10 vor dem Abriss zu bewahren. Dass es trotz Schutzzone und historischem Bewusstsein heute nur mehr drei klassische Cafés am Ring gibt, war dem Museumsdirektor übrigens eine sentimentale Anmerkung wert, die der Kurator mit einem Seitenhieb auf Hochhäuser, die man heutzutage in die Ringzone bauen will (Stichwort Eislaufverein), ergänzte.

Ausstellung

Der Ring. Pionierjahre

einer Prachtstraße.

Wien Museum. Bis 4. Oktober