Die gesellschaftlich akzeptierte Entwicklung geht eigentlich in die andere Richtung. Also: Irgendwann hört man nicht mehr Ö3, sondern Ö1. Irgendwann trinkt man nicht mehr Malibu, sondern Sauvignon. Irgendwann hat man keinen Strampler mehr an, sondern legt sich eine halbwegs präsentable Garderobe zu.
Außer heuer: Diesen Sommer war es nämlich ganz und gar in Ordnung, sich wie ein Kleinkind anzuziehen. Denn einer der größten Modetrends in dieser Saison war: die Latzhose. Dazu klebte man sich lustige abwaschbare Tattoos, gern in Metallic, auf die Arme, wie man es zuletzt vor vielen Jahren im Freibad gemacht hat. Wo man dann der Mama gesagt hat, sie muss einem jetzt die Schwimmflügerl besonders vorsichtig ausziehen, damit die Bildchen nicht zerkratzt werden.
Das ist nur konsequent. Denn immer häufiger lässt sich ein Trend beobachten: der punktuelle Rückwärtsgang direkt ins Kindergarten-Alter. Am deutlichsten hat sich dieser Trend in einer massiven Umwälzung am Buchmarkt ausgewirkt. Und dafür muss man - wie das durchschnittliche Kindergartenkind - nicht einmal lesen können. Niemals zuvor wurden wohl so viele Malbücher aufgelegt wie in diesem Sommer. Und zwar Malbücher, die ausdrücklich für Erwachsene gedacht sind. Ganze 347 Ergebnisse liefert die Suche auf Amazon. Das beliebteste ist immer noch von jener Illustratorin, die den Hype vor zwei Jahren in Großbritannien ausgelöst hat. Johanna Basford wurde vom Verlag Laurence King aufgefordert, ein Kinderbuch zu gestalten. Die Grafikerin, die zuvor filigrane Schwarz-Weiß-Zeichnungen für Weinetiketten angefertigt hatte, schlug stattdessen vor, ein Malbuch für Erwachsene zu machen. Sie erzählte den Verlags-Verantwortlichen, dass ihre Kunden es immer schon geliebt hätten, ihre Muster auszumalen.
Entspannt Buntstiftschwingen
Es stellte sich heraus, Basfords Kunden waren nicht etwa versponnene Einsiedler mit echt zu viel Tagesfreizeit - sie waren der Mainstream. Denn seit der Erstveröffentlichung findet sich nicht nur Basford mit "Mein verzauberter Garten" ständig auf den Bestsellerlisten, sondern auch die Nachzügler, mit denen nun der deutschsprachige Verlagsmarkt reagiert. Über die völlig neu entstandene Kategorie staunen selbst betroffene Verleger noch immer: "So ein Phänomen haben wir in den vergangenen dreißig bis vierzig Jahren Verlagsgeschäft nicht erlebt", erzählte eine Vertreterin des britischen Michael-OMara-Verlags dem "New Yorker". "Wir haben manche Titel schon zum fünfzehnten Mal aufgelegt. Wir kommen kaum nach mit dem Drucken."