Sein Vorhaben, mitten im peruanischen Dschungel ein Opernhaus zu errichten, ist misslungen. Dennoch steht Klaus Kinsky als Werner Herzogs Fitzcarraldo in der Schlussszene des Films lachend und entspannt eine fette Zigarre rauchend an Deck jenes Flussdampfers, den er zuvor unter enormen Aufwand über einen Bergrücken hat ziehen lassen. Das Schiff ist nun die Bühne für eine erste und zugleich letzte Aufführung. Das berühmte vom Chor begleitete Duett "A te, o cara" aus der Oper "I puritani" von Vincenzo Bellini ertönt. Fitzcarraldos Gesichtsausdruck wirkt selbstversöhnlich. Vor dem Hintergrund seines Scheiterns im Großen ist ihm nun die Schmalspurversion seines Traums Erfolg genug.
Im Scheitern, meinte der Philosoph Karl Jaspers einst, käme der Mensch zu sich selbst. Durch das Erleben von Grenzsituationen erfahren wir, dass wir existieren.
Kraft aus der positiven Schubumkehr
Aus dieser positiven Schubumkehr schöpft auch die reiche Palette an Ratgeberliteratur. In Buchläden stapeln sich Titel wie "Die heilende Kraft des Scheiterns", "Scheitern als Chance" und "Die Kunst des Scheiterns". Sogar vom "Glück des Scheiterns", der " Lust am Scheitern" und einer "Kultur des Scheiterns" ist die Rede. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, Niederlagen seien hip.
Auf das wirtschaftspolitisch propagierte Modell des Start-up folgt das Fuck-up. "Fuck Up Night" nennt sich dementsprechend ein Format, das 2012 in Mexiko seinen Ausgang nahm und mittlerweile über hundert Städte weltweit erreicht hat. Kleinunternehmer wie auch ehemalige Firmengründer aus den Think-Big-Zeiten der New Economy erzählen hier von ihren Pleiten und davon, was sie daraus gelernt haben. Nicht selten haben solche Abende hohen kabarettistischen Wert, blicken die Akteure doch auch voller Ironie auf ihr früheres Ich zurück. Für so manche im Publikum ist das ein Befreiungsschlag. Denn für Niederlagen, Misserfolg, Verlust, Ernüchterung und Desillusionierung bleibt wenig Raum in einer auf Erfolg und Karriere, Leistung und Gewinnmaximierung bauenden Gesellschaft.
Dass Scheitern zunächst vor allem eines ist, nämlich extrem unerfreulich, wissen wir alle. Scheitern tut weh und wird als beschämend empfunden. Vor allem dann, wenn andere vom eigenen Versagen betroffen sind. Auch damit halten die Stehaufmännchen auf der Bühne der "Fuck Up Nights" nicht hinterm Berg. Vom "großen Tabu der Moderne", wie der US-amerikanische Soziologe Richard Sennet das Scheitern in seinem Buch "Der flexible Mensch" bezeichnete, das im englischen Original bereits zehn Jahre vor der Finanzkrise erschien, kann also längst nicht mehr die Rede sein.
Während das Thema erst seit ein paar Jahren an gesellschaftlicher Akzeptanz erfährt, hatte es in den Künsten schon immer Hochkonjunktur. Allein die griechische Mythologie ist voll von gefallenen Helden. Als Paradebeispiel gilt Phaëthon, der Sohn des Sonnengottes Helios, der das kostbare Viergespann des Vaters zu lenken versucht, das ihm jedoch bald außer Kontrolle gerät und eine Katastrophe universalen Ausmaßes auslöst. Nur Zeus Blitz kann das Chaos eindämmen. Phaëthon geht dabei auf drastischste Weise zu Fall. Er verliert sein Leben.
Wie diese Geschichte hallt auch die des Künstlers Bas Jan Ader in der Gegenwart nach. 1975 machte er sich in einem viereinhalb Meter langem Boot zu einer Atlantiküberquerung auf, um nach dem Wunderbaren zu suchen ("In Search of the Miraculous"). Etwa zehn Monate nach seiner Abreise wurde das Boot vor der Küste Irlands angetrieben. Von Jan Bas Ader selbst fehlt bis heute jede Spur. Ein wesentlicher Anteil seines Werks widmete sich dem Fallen (falling), das er mit dem Scheitern (failing) in Verbindung brachte. Sei es, indem er mit einem Stuhl auf dem Dachfirst seines Hauses balancierte und dabei abstürzte oder fahrradfahrend in eine Amsterdamer Gracht stürzte. Diese an Slapstick erinnernden Aktionen waren vor allem eines: Metaphern für das Gefühl jener existenziellen Instabilitäten, von denen kaum eine Biografie unberührt bleibt.
Die Unmöglichkeit des Erzählens
"Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Oft wird dieser vom Schriftsteller Samuel Beckett formulierte Satz zitiert. Die Unmöglichkeit des Erzählens hat er in seinen Werken wiederholt thematisiert und stilbildend umgesetzt. Beckett spricht vielen Künstlern aus der Seele, denn Scheitern ist unausweichlicher Bestandteil kreativer Vorgänge und wird als solcher in der zeitgenössischen Praxis nicht selten zum zentralen Thema. Etwa da, wo es um die Betonung des Prozesses gegenüber dem Werk, die Reflexion der Arbeitsweisen und der Produktionsverhältnisse geht.
Dementsprechend greifen auch Ausstellungshäuser das Thema im Rahmen von Gruppenausstellungen auf. "scheitern" hieß eine Schau, die 2007 in der Landesgalerie Linz stattfand, "Besser scheitern" eine, die 2013 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen war. Aktuell schlägt die Kunsthalle Exnergasse im Wiener WUK unter dem Titel "Über die Unmöglichkeit des Seins" unterschiedliche Kapitel zur Thematik auf. Elf Positionen widmen sich hier dem Misslingen, dem Unvollkommenen, dem Unerreichbaren, dem vergeblichen Bemühen.