Salzburg. Darf sich Kunst in Zeiten der Krise, in einer Weltlage, die von Terror und Tod überschattet ist, der reinen Verehrung des Schönen widmen? Darf sich ein Festspiel angesichts von Krieg und Flucht einem rauschenden Fest hingeben? Philosoph Konrad Paul Liessmann beantwortete diese selbst aufgeworfenen Fragen in seiner Festspielrede am Donnerstag ganz eindeutig mit Ja. Der Forderung, Kunst müsse aufrütteln, sich erheben, den Finger auf die Wunden der Zeit legen, erteilte er eine Absage. Denn auch Kunst, die sich in den Dienst von politischen Botschaften - und seien sie noch so dringlich oder nobel - stelle, verliere letztlich ihr höchstes Gut, die Grundbedingung ihres Gelingens: ihre Freiheit. Gerade in stürmischen Zeiten - und in solchen befinde sich der Mensch nicht erst heute - stelle die Kunst, so Liessmann, schon durch ihre bloße Existenz, durch ihren Anspruch auf Autonomie einen Kritikpunkt an der Welt dar. Im Rückzug in die Sphäre der Kunst selbst sieht er bereits einen provokanten, höchst kritischen Akt.

Über diese Analyse hinaus widmete sich der Kulturphilosoph einmal mehr der Kritik am Bildungssystem. Man müsse sich hier von Effizienz-Denken und Output-Optimierung lösen und die Frage stellen, wie viel Kunst die Bildung brauche. Denn eine Bildung ohne Wissenschaft, eine Bildung ohne Kunst, sei schlicht keine Bildung mehr.

Auch Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler widmete sich dem Verhältnis von Kunst und Weltflucht vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage. Und auch die weiteren Redner am Podium der Felsenreitschule nahmen zu aktuellen Konflikten und Krisen Stellung. Nationalratspräsidentin Doris Bures, die in Ermangelung eines Bundespräsidenten die Eröffnung vornahm, zeigte sich erschüttert über den "mörderischen Terror, der zu einem Teil europäischer Lebensrealität" geworden sei. Gleichzeitig würden Entwicklungen des gesellschaftlichen Fortschritts stagnieren. Europa brauche in diesen herausfordernden Zeiten Gemeinsamkeit, Vertrauen, Träume und Ziele.

Grobschlächtigkeit und die Unendlichkeit von Kunst

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer wies in seiner Rede darauf hin, dass hinter der Idee der Europäischen Union das größte Friedensprojekt der Geschichte stehe, das die Würde des Einzelnen in den Mittelpunkt allen staatlichen und gesellschaftlichen Handels stellt. Er zeigte sich jedoch skeptisch in Bezug auf das Fortbestehen dieses Projektes: "Ich bezweifle, ob wir selbst wirklich davor gefeit sind, wieder in die Barbarei, die Grobschlächtigkeit, die Kulturlosigkeit zurück zu verfallen, wenn wir aus der Ruhe im Auge des Sturmes in seine zerstörerische Veränderungsgewalt rücken". Die Kunst mache das Bewusstsein und die Freiheit des menschlichen Willens gegenwärtig: "Die Kunst macht uns bewusst, dass wir nicht eine willenlose Herde sind, sondern in jedem von uns ein Stück weit Unendlichkeit gesetzt ist."

Kulturminister Thomas Drozda meinte, dass Europa derzeit als Projekt der ökonomischen und intellektuellen Eliten wahrgenommen werde. "Das muss sich ändern, wenn das gemeinsame europäische Projekt auch weiter Bestand haben soll." Dazu sei auch ein "hervorragendes, menschliches" Bildungssystem erforderlich, das gegen destruktive antidemokratische Populisten immunisiere. Zweitens sei ein gesellschaftlicher Zusammenhalt notwendig. Ziel der Politik müsse es sein, ein Leben der Menschen in gegenseitigem Respekt, in Würde und Anstand zu ermöglichen. Der Staat sei auch für die freie Entwicklung und Finanzierung der Kunst und die Kunstvermittlung verantwortlich, und dafür wolle er als Minister kämpfen.

Für die musikalische Umrahmung sorgten das Ensemble Franui Musicbanda und das Mozarteumorchester Salzburg. Die von Franui selbst arrangierten Stücke aus den "80 Medaillons für Musicbanda und Orchester" mit schrägen und volkstümlichen, herzhaften und pointierten Bearbeitungen von Themen Mahlers und Mozarts, Ligetis und Bartóks erwiesen sich als erfrischender, wie gehaltvoller Rahmen. Frei nach dem finalen Gedanken der Festrede, dass Kunst "alles sein kann, was man ihr zuschreibt, und doch nie darin aufgeht".