Die gute Frau schweigt

Eine solche möge nach dem Willen der Märchenbrüder, am besten ganz den Mund halten. Die Muttergottes selbst macht das "Marienkind" stumm, als es unerlaubt spricht. In "Die zwölf Brüder" wird dem Mädchen verboten zu sprechen, andernfalls die Brüder sterben. Sechs Jahre muss die Schwester in "Die sechs Schwäne" schweigen, um ihre männlichen Geschwister zu erlösen.

Überhaupt kennen die flunkernden Brüder keine normalen Frauen, so will mir scheinen, hochwohlgeborener Herr Rat. Speziell das Böse nimmt immer wieder Frauengestalt an als böse Stiefmutter, böse Stiefschwester oder böse Hexe. So verwandelt Frau Trude grundlos ein kleines Mädchen in einen Holzblock, den sie ins Feuer wirft. Auch sadistische Gelüste kühlen die Brüder stets an der Frau. So muss die Stiefmutter Schneewittchens auf dessen Hochzeitsfest glühende Eisenschuhe anziehen und sich darin zu Tode tanzen. Welch beglückender schönster Tag im Leben...! Auch im "liebsten Roland" gelüstet es die Stiefmutter nach dem Tod der Stieftochter. Im "Machandelboom" schlägt gar die Stiefmutter, wer könnte sonst es sein, ihrem Stiefsohn den Kopf ab, und als sie nicht länger vertuschen kann, dass der Stiefsohn nun eine Leiche ist, zerhackt sie ihn und verkocht ihn zu Suppe.

Hochwohlgeborener Herr Rat, aus den vielen Exempli erseht Ihr wohl, dass Grimms sich auf die Frau nicht verstehen. Ihnen ist die Frau ein absonderliches Wesen, überirdisch schön oder unterirdisch abscheulich, überirdisch gut oder unterirdisch bestialisch, dem Mann ergeben oder ihn mordend, sein Engel oder sein böser Geist, aber nichts ist die Frau ohne den Mann. Solches Märchen nun pflanzt sich fort in das Denken von Generationen nach uns - und muss verhindert sein, denn gleiches Recht auf die Bestimmung über sich selbst eignet allen Menschen, gleichgültig welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe und welcher Nation. So beantrage ich den Freispruch für Marthe Knusper, indem ich nicht um ein mildes Urteil bitte, sondern um ein weises.