Wien. Der Kulturstadtrat hat sich Zeit gelassen bei seiner Entscheidung. Reichlich Zeit. Für manche zu viel. Die Bewerbungsfrist war bereits Ende Mai ausgelaufen, es verstrich Planungszeit für den oder die Neuen. Knapp vor Weihnachten haben sich Andreas Mailath-Pokorny und die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) nun zu Entscheidungen durchgerungen: Der 47-jährige Regisseur Stefan Herheim übernimmt das Theater an der Wien mit 2022, Langzeit-Intendant Roland Geyer bleibt dadurch zwei Jahre länger als geplant. Im Bereich Musical wird der Vertrag von Christian Struppeck um fünf Jahre verlängert.

Für den gebürtigen Norweger Herheim - er kann als erfahrener, erfolgreicher wie nicht unumstrittener Opernregisseur auch in Österreich auf eine beachtliche Karriere zurückblicken - ist es seine erste Verantwortung für ein Haus. Am Theater an der Wien hat er noch nie gearbeitet. Er ist also zugleich Routinier und Neuling. Oper sei sein Leben, wird er in einer Aussendung des Theaters an der Wien zitiert, das er darin als einmalige Werkstätte zur Entfaltung des Gesamtkunstwerks Musiktheater lobt. Überdies griff der designierte Opernchef und ausgebildete Cellist zu landwirtschaftlichen Metaphern: "Die Bühnenbretter des Theater an der Wien gehören zu den fruchtbarsten kulturellen Äckern Europas, auf dem sich die prächtigsten Früchte ernten lassen. Der Samen dafür ist ein Grundvertrauen in die künstlerische Integrität." Er wolle die Sinnsuche fortzusetzen, die Publikum und Künstlern jene Heimat bietet, um alte Welten neu und neue Welten offen zu betrachten. Dass er erst 2022 zur Verfügung steht und nicht schon 2020 starten kann, hat organisatorische Gründe: Herheim inszeniert 2020 einen "Ring"-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin.

Zufrieden mit dem Personaltableau zeigte sich der nun zwei Jahre länger im Amt verbleibende Geyer: "Ich kenne und schätze Stefan Herheim schon seit Jahren und freue mich sehr, dass ich - bis er die Geschicke des Hauses übernimmt - weiterhin das Profil des Theaters an der Wien schärfen kann." Lorbeerkränze knüpfte Herheim auch Mailath-Pokorny: "Er ist einer, der das Gesamtkunstwerk Oper entfalten kann. Das erfahrene Wiener Opernpublikum hat niemand Geringeren verdient als einen Menschen, der sich Ort und Genre vollkommen verpflichtet."

Erfahrung und Erfolg als Regisseur hat Herheim reichlich. Nicht zuletzt ist Österreich dabei zentrales Arbeitsfeld des Musiktheatermachers, dessen polarisierende Deutungen von Barock bis zum zeitgenössischen Repertoire Fans und Kritiker kaum kalt lassen. So inszenierte der Wahlberliner bei den Salzburger Festspielen 2003 Mozarts "Entführung", 2013 die "Meistersinger". In Linz legte er 2001 Wagners "Tannhäuser", 2003 Verdis "Don Carlos" vor, in Graz 2006 "Carmen" und 2012 "Manon Lescaut", an der Volksoper 2004 "Madama Butterfly". In Bregenz bot er 2015 grandios-ordinäre "Les contes d’Hoffmann".

Der Intendant als Regisseur

Mittlerweile können nur wenige renommierte Häuser im deutschen Sprachraum nicht auf eine Arbeit von Stefan Herheim zurückblicken - ab 2022 wohl auch das Theater an der Wien. Schließlich dürfte sich der passionierte Regisseur auch künftig nicht alleine mit dem Intendantensessel zufriedengeben. Im Jänner will er sich persönlich in Wien vorstellen.

Auf Kontinuität setzt man bei den Musicalhäusern der VBW, Raimund Theater und Ronacher: Hier wird der 49-jährige Leiter Christian Struppeck ab 2020 mit einem neuerlichen Fünf-Jahres-Vertrag ausgestattet. Rückenwind verschaffte dem seit 2012 amtierenden Musicalchef nicht zuletzt der Erfolg der Rainhard-Fendrich-Revue "I Am From Austria".

Bis zuletzt waren namhafte Kandidaten im Rennen um das Theater an der Wien - darunter auch Star-Dirigent und Tiefschürfer Teodor Currentzis, der Wien zur "Hauptstadt der progressiven Oper" machen wollte. Der greco-russische Ausnahmedirigent, dessen Konzept für das Theater an der Wien große Ambitionen und massive Umwälzungen versprochen hätte, war den Entscheidungsträgern offenbar ein zu waghalsiger Kandidat.