
"Mein Körper wird es mir nicht gewähren / Mich mit den Männern zu messen / Doch mein Herz ist weitaus tapferer / Als das eines Mannes." Es sind ungewöhnliche Verse für eine chinesische Dichterin, welche die verzweifelten Zeilen im Jahr 1903 auf ein Seidenpapier setzte. Doch Qiu Jin war auch eine außergewöhnliche Frau, die sich lieber mit Schwertern, Wein und dem Herstellen von Bomben beschäftigte als mit der ihr zugedachten Rolle der ergebenen Ehefrau. Denn das China des späten 19. Jahrhunderts war erstarrt im konfuzianischen Wertesystem, wonach die Untertanen dem Kaiser zu folgen hatten und die Frauen ihren Männern. Doch der Thron der Qing-Dynastie bröckelte: Die aufgeblähte Bürokratie hatte den Staatsapparat unbeweglich gemacht, während ausländische Mächte das Reich zunehmend filetierten. Und Qiu Jin dachte gar nicht daran, den Normen einer sich auflösenden Gesellschaft zu folgen, sie wollte die bestehende Ordnung überwerfen - und bezahlte den Mut dazu letztlich mit ihrem Leben.
Die Männer haben das Sagen
Das China des 21. Jahrhunderts steht einmal mehr im Umbruch, und wieder stehen die Frauen im Mittelpunkt - es sind vor allem gut ausgebildete Frauen, die einen überproportional großen Anteil am sagenhaften wirtschaftlichen Aufschwung des Landes tragen. Nirgendwo sonst gibt es so viele weibliche Milliardäre, chinesische Frauen führen Unternehmen im Wert von 272 Milliarden Euro. Ihre wirtschaftliche Relevanz findet in der politischen Vertretung jedoch keine Entsprechung, denn hier haben die Männer nach wie vor das Sagen. Sieben Männer bilden im Politbüroausschuss das Zentrum der Macht, im zweitmächtigsten Gremium schaut es kaum anders aus: Unter 25 Vertretern ist die Funktionärin Sun Chunlan das einzige weibliche Mitglied im Politbüro. Seitdem das Erziehungsministerium 2014 die Nation zur Rückbesinnung auf die konfuzianische Kultur und deren Werte aufgerufen hat, scheint sich das gesellschaftliche Klima für Frauen zudem wieder einzutrüben.
Unter diesen Umständen hat die #MeToo-Debatte China zwar verspätet erreicht - aber eben doch. Ausgangspunkt war die Pekinger Beihang-Universität, an der ein Professor zurücktreten musste, da er jahrelang Studentinnen bedrängt und zum Sex aufgefordert haben soll. Ausgelöst wurde die öffentliche Diskussion durch den Blog-Eintrag einer ehemaligen Studentin, der innerhalb eines Tages drei Millionen Mal gelesen wurde.
Das war Anfang Januar. Seitdem achten die chinesischen Online-Zensoren sehr darauf, die Debatte weitgehend aus den Foren und Chats zu löschen und sie zu steuern - also vorläufig abzuwürgen. Trotz dieser schwierigen Bedingungen wachse in China das Bewusstsein dafür, dass mehr gegen sexuelle Übergriffe getan werden müsse, wie die Expertin Shen Yang von der Jiaotong-Universität in einem Interview mit der ARD anmerkte. Die 30-Jährige hat selbst eine Petition von Uni-Professoren mit unterzeichnet, meint jedoch, dass die Diskussion in China einen anderen Weg gehe als in den USA: "In Amerika waren es Prominente, die sich in Sachen #MeToo öffentlich geäußert haben. Chinesische Promis würden das nie tun. Das wäre viel zu gefährlich für die Karriere."