Der Tod eines Menschen hinterlässt immer eine Lücke im Leben der Hinterbliebenen. Auch der eines berühmten Menschen. Er zieht nur größere Kreise. Kommen Würdigungen für berühmte Personen nicht immer zu spät? Ein Pro und Kontra zum Thema Nachruf.
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Pro - von Judith Belfkih
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Der Tod ist eine unwiderrufliche Leerstelle. Ein verstorbener Mensch hinterlässt nicht nur ein Vakuum in seiner Familie, seiner Gemeinschaft, es sind viele kleinere und größere Leerstellen im Leben anderer, die verabschiedet werden wollen.
Identität ist immer ein Puzzle. Sie besteht aus vielen Versatzstücken, die sich bei jedem anders zusammensetzen. Als Sohn oder Tochter von jemandem, als Mutter oder Vater, Bruder oder Schwester. Aber auch als Liebhaber von Hardrock oder Oper, als passionierte Bergsteigerin oder Tangotänzer, als Chemikerin oder Pädagoge. Viele dieser Charakter-Bausteine sind an Erlebnisse, an Erinnerungen geknüpft - an persönliche Momente, vielleicht an kollektive, an historische, an epochale.
Einige dieser Puzzlestücke haben einen Soundtrack, sind mit Musiken unterlegt, mit Bildern. Manche von ihnen sind auch Projektionen - in nahestehende Menschen, aber auch in geschätzte Künstler oder gar Idole. Sie stehen prototypisch für eine Entwicklung oder Epoche, symbolisieren etwas für eine kleine Gruppe, eine Generation oder eine ganze Gesellschaft.
Ein Stück von uns selbst zu Grabe tragen
Die Identifikation mit diesen Berühmten - oder auch die Abgrenzung - wird zum Teil der eigenen Persönlichkeit. Zugespitzt wird der Star zum integralen Teil des Fans. Eine Sängerin zu schätzen, die Bücher eines Autors mit einer Lebensepoche zu verknüpfen, sich wie eine Schauspielerin zu kleiden, beim Film eines Regisseurs etwas über das eigene Leben erkannt zu haben - all das prägt Persönlichkeit, formt den Charakter.
Stirbt eine solche Berühmtheit, so stirbt auch ein Teil in all jenen, deren Persönlichkeitsteil sie geworden ist. Diese Splitter gilt es zu hegen, wertzuschätzen, in ein neues Licht zu setzen und zu Grabe zu tragen. Der geschriebene Nachruf ist das schönste und das gemeinschaftlichste Mittel dafür - neben dem individuellen Wiederhören von Musiken, dem Betrachten von Bildern und Filmen oder dem neu Lesen von Literatur. Nachrufe sind nicht nur würdigende Abschiede von herausragenden Persönlichkeiten. Sie sind ein Ort des Abschiedes und der Standortbestimmung für das kollektive Gedächtnis. Und für all jene, die über Erinnerungen an eine Person eine Gemeinschaft bilden.