Auch die Architektur kennt Moden. Unmittelbar nach dem Krieg war man sich über den Wert des Historismus noch lang nicht einig. Heute zweifelt niemand daran, dass die Bauten der Gründerzeit, die mit viel Zierrat den Stil vergangener Epochen heraufbeschwören und daraus Bedeutung generieren, erhaltenswert sind. Dafür haben es die Häuser der 1950er und 1960er Jahre umso schwerer. Damals zeitgenössisch und fortschrittlich, sitzen sie als Sanierungskandidaten gleichsam zwischen allen Stühlen: weder klassisch modern, noch wirklich neu und schon gar nicht alt.

Mit kargen Mitteln, aber umso mehr euphorischer Aufbruchstimmung errichtet, sind die Bauten der Nachkriegszeit von pragmatischer Funktionalität, Fortschrittsgläubigkeit, Bescheidenheit und der Sehnsucht auf ein besseres, leichteres Lebensgefühl getragen. Geschmackvoll eingerichtete Geschäfte, Galerien, Milchbars, Espressi und Autosalons schossen ebenso aus dem Boden wie Wohnanlagen, die mit Kunst am Bau geschmückt und mit Nierentischen möbliert waren.
Letzter Abschied

Als feststand, dass der Wiener Südbahnhof abgerissen werden sollte, war für Stefan Oláh keine Zeit mehr zu verlieren. Er schulterte seinen Kamerarucksack, packte sein Stativ und machte sich auf den Weg zum Wiedner Gürtel. Mit Aufmerksamkeit und Sinn für die spezifische Schönheit dieses Ortes dokumentierte er den Südbahnhof, bevor er von den Baggern abgetragen worden war. Heinrich Hrdlicka hatte ihn geplant, 1951 bis 1960 wurde der größte Bahnhof Wiens errichtet: ein weitläufiges Verkehrsbauwerk mit riesiger Halle, vielen Galerien, Rampen, Plateaus und mehreren Gleisebenen.
Von hier fuhr man nach Venedig, ins Burgenland, nach Prag, Istanbul oder tauchte zur Schnellbahn in den Untergrund hinab. Der Südbahnhof war stoischer Zeuge einsamer Ankünfte, tränenreicher Abschiede und als Aufenthaltsort allen offen. Unter seinem Dach nisteten die Tauben, lange fanden die Obdachlosen in kalten Nächten in seinen Wartezonen Unterschlupf, nur die Wiener und Wienerinnen wurden nicht recht warm mit ihm, obwohl sie ihn häufig frequentierten. Vielleicht lag es daran, dass ihn auch die U1 gleichsam links liegen und man ihn langsam verkommen ließ.
Stefan Oláh hat ihm mit seinen Bildern ein würdiges Denkmal gesetzt: Eine Detailaufnahme lässt den Fußboden in all seiner farbigen Pracht wieder aufleben. Das Foto der Halle, durch deren hohe Glasfassade das Gegenlicht einfällt, verleiht dem großzügigen Raum eine würdige Patina. Es lässt vor allem seine eindrucksvolle Dimension wirken und Verschleißspuren nicht so deutlich wahrnehmen. Auch die Details haben es in sich. Der Schriftzug der Fassade, die breite Treppe, die souverän schwungvollen Enden ihrer Handläufe, die kleinen, dunkelroten Kachelquadrate an den Wänden, das Strukturglas der Fenster, die mintgrünen Fliesen der Blumenhandlung: Die Kombination dieser Materialien, ihre Farbigkeit und Formen sind typisch für die Nachkriegszeit.