
experimentieren Autoren mit literarischen Formen. - © Erwin Wodicka - wodicka@aon.at
Wien. Angesichts der Allgegenwart von Facebook und Twitter ist eine andere Form der Online-Kommunikation und weltweiten Vernetzung ein wenig ins Hintertreffen geraten: die Blogs. Dabei ist die Blogosphäre älter als Facebook. Die ersten Online-Tagebücher tauchten bereits in den 1990er Jahren auf, Facebook ging erst 2004 ins Netz.
Die Literatur- und Kulturwissenschafterin Christine Zintzen ist zugleich Ko-Herausgeberin des Online-Literaturportals litblogs. net und naturgemäß eine Verfechterin des Blogs. "Man konsumiert nicht nur, sondern gestaltet laufend neue Inhalte", sagt Zintzen über den Unterschied zwischen Blog und Facebook.
Online-Fundstücke
Während die 25- bis 30-Jährigen eher auf Facebook abwandern, halten die 40- bis 50-Jährigen vorrangig die Blogosphäre aufrecht. Je jünger der Internetnutzer ist, desto mehr würde er sich auf Facebook aufhalten, meint Zintzen.
Der Name Blog lässt sich übrigens von Web und Logbuch herleiten. Von persönlichen Aufzeichnungen bis zu politischen Diskussionen kann das Online-Tagebuch vielerlei Formen annehmen. Besonders beliebt sind mittlerweile jene Weblogs, die religiöse Inhalte verbreiten, sich mit technischen Fragen auseinandersetzen oder über Prominente berichten. Verglichen damit führen literarische Weblogs eine "Nischenexistenz", so Zintzen. Was bedauerlich ist, denn die Online-Fundstücke der Autoren erweisen sich als tiefgründige Auseinandersetzungen mit dem Medium und den Möglichkeiten der Narration. Durch den Webauftritt von Literatur können neue literarische Formen entstehen. Ein literarischer Blog ist für Zintzen wie "ein offener Text, eine wuchernde Textur", ohne definierten Anfang und Ende. Das Potenzial der literarischen Blogs ist wohl noch lange nicht ausgeschöpft.
Blogs als Werkstatt
Bei litblogs.net sind derzeit 20 Autorenblogs gebündelt. Dabei handelt es sich um professionelle und regelmäßig publizierende Schriftsteller, wie zum Beispiel den deutschen Autor Alban Nikolai Herbst, dessen vielgelesener Blog "Die Dschungel. Anderswelt" bereits webbekannt ist.
Die literarischen Blogs sind bisher kaum von Literaturwissenschaftern erforscht worden. Es gibt kaum Sekundärliteratur dazu, und es hat sich noch keine Lehrmeinung durchgesetzt. Der Leser ist auf seine eigenen Beobachtungen angewiesen und der Autor ist durch die Kommentarfunktion direkt ansprechbar. Dadurch können "Ängste abgebaut werden", meint Zintzen.
Darüber hinaus ist der Blog eine Übung in der Kunst des Argumentierens. Man kann eigenhändig literaturwissenschaftliche Beobachtungen anstellen, "Rezensionsprozesse mitverfolgen und selbst gestalten", so Zintzen.
Das Literaturarchiv Marbach konnte für die Archivierung von litblogs.net gewonnen werden. Denn "das Web merkt sich zwar vieles, aber vergisst auch schnell wieder". Eine der größten Schwierigkeiten bei der Aufbewahrung von Webseiten liegt in den gewaltigen Datenmengen. Noch dazu verändern sich die literarischen Blogs regelmäßig und neue Texte oder Kommentare kommen dazu.
Copyright für Online-Texte
In Sachen Autorenschutz übernimmt der literarische Blog Inadaequat eine "Vorreiterrolle", meint Zintzen über ihren eigenen Blog. Denn hier wird jeder Beitrag bei einer internationalen Registrationsagentur registriert, die eine ISBN-Nummer vergibt. Die Autoren sind deswegen urheberrechtlich geschützt. Auch wenn es den Blog längst nicht mehr gibt, werde auf diese Art eine Internetpublikation mit einer bleibenden Identifikation versehen. Etwas, das selbstverständlich sein sollte.
Man könne Blogs auch wie eine "Werkstatt" betrachten, meint Zintzen. Wobei die Werkstatt-Gespräche eben online geführt werden und eine ziemliche Sogwirkung entfalten können.
Über die Zukunft der Blogo-sphäre müsse man sich keine Sorgen machen. Zintzen: "Leute, die sich für ein Thema interessieren oder sich mit Gleichgesinnten austauschen wollen, werden weiterhin Blogs benutzen."