Wien. Wir schreiben das Jahr 1957. "Wie fühlt sich ein Orgasmus für eine Frau an?", fragt der Wissenschafter. "Darauf zu antworten wäre wie der Versuch, jemandem Salz zu erklären, der es noch nie zuvor gekostet hat", antwortet seine Sekretärin. Der Forscher heißt William Masters und ist ein hochangesehener Gynäkologe an der George-Washington-Universität St. Louis in Missouri. Sein Spezialgebiet ist die Fertilität, viele verzweifelte Paare wenden sich wegen Kinderlosigkeit an ihn. Aber ein anderes Thema lässt ihm keine Ruhe und treibt ihn in die Bordelle. Er ist besessen davon, herauszufinden, was Menschen und vor allem Frauen beim Orgasmus wirklich fühlen. Sein großer Traum ist es, Alfred Kinseys soziologische Statistiken durch physiologische Daten zu ergänzen.
Sex und Wissenschaft
Sex, bahnbrechende Forschung und eine verbotene Liebelei - perfekter Stoff für eine Serie. "Masters of Sex" erzählt die Geschichte William Masters und die seiner akademisch unerfahrenen Assistentin, späteren Mitautorin und Geliebten Virginia Johnson. Im US-Fernsehen hat Mitte Juli bereits die zweite Staffel begonnen, das ZDF zeigt ab Anfang August die deutsche Premiere. Die Serie basiert auf der gleichnamigen Biografie des US-Journalisten Thomas Maier. Es geht - klar - um Sex, aber auch um Emanzipation, um Lebenskonzepte und die teilweise skurrilen Anfänge der Sexualwissenschaft.
"Ihnen ist klar, dass Frauen Orgasmen vortäuschen?", fragt eine Studentin in der Vorlesung. Masters wird klar, dass er seine Strategie ändern muss. Am Schwarzen Brett des Uni-Krankenhauses sucht er eine Assistentin - und findet Virginia Johnson: eine zweifache, alleinerziehende Mutter vom Lande, mit der klassischen, dramatischen Schönheit eines Filmstars und einer für ihre Zeit ziemlich lockeren Moral.
Gemeinsam entwickeln die beiden eine neue Technik der sexologischen Datenerhebung. Sie funktionieren ein Krankenzimmer zum Sex-Labor um und suchen Probanden, die sich bereiterklären, verkabelt und mit anonymen Partnern zu kopulieren. Es dauert nicht mehr lang, bis auch er und Johnson zueinanderfinden - zum Leidwesen von Masters Frau.
Auch seine Geliebte behandelt er schlecht. Die beiden heiraten, es endet nicht gut. Dem Biografen Thomas Maier erzählt sie später: "Es war vielleicht sexuelle Belästigung, aber wenn man 200.000 Dollar im Jahr verdient, geht man nicht einfach."
Masters wird gespielt von Michael Sheen, der vor allem als Darsteller des britischen Ex-Premiers Tony Blair in "Die Queen" bekannt wurde. Er bleibt im Vergleich zu seiner brillant spielenden Kollegin Lizzy Caplan als Virginia Johnson ziemlich farblos und unattraktiv - das ist bezweckt, denn der Wissenschafter galt als unnahbar und unsensibel bis hin zur Brutalität. Caplan bekam für die Rolle den TV-Oscar Emmy als beste Hauptdarstellerin einer TV-Serie.
Viele schöne Menschen
Die Macher knüpfen klar an den Erfolg von "Mad Men an", jener stilbildenden Serie über die euphorischen Jahre des Wirtschaftswachstums der 1950er. Ästhetik und Thematik wirken vertraut: schick gekleidete, kettenrauchende Menschen, die sich durch Seitensprünge aus der häuslichen Tristesse flüchten. Die Männer tragen Hüte und locker sitzende Anzüge, die Frauen sind auch physisch eingeengt von Korsett und Bleistiftrock. Auch das gesellschaftliche Korsett sitzt eng, noch sind Konventionen und die Erfüllung materieller Wünsche vorrangig vor Selbstverwirklichung und persönlicher Freiheit.
Umso größer scheint die Neugier der Wissenschafter. Sie studieren 14.000 Orgasmen, auch ihre eigenen. Ihre Ergebnisse fassten sie in ihrem Buch "Die sexuelle Reaktion" zusammen, es galt als Meilenstein. Dabei war es in der mit lateinischen Ausdrücken gespickten Sprache der Medizi-ner geschrieben, das Vorspiel wurde dort zur "anregenden Annäherungsangelegenheit". William Masters nannte es später "das meistgekaufte und am wenigsten gelesene Buch der Geschichte".