Konzerte von Bob Dylan waren nicht immer inflationäre Ereignisse wie zuletzt. Es gab tatsächlich Zeiten, in denen er schlicht die Bühne verweigerte. Umso mehr wurden die nach längerer Abstinenz gegebenen Konzerte vom Publikum begrüßt. Mitte der 70er Jahre hatte der Meister des Folk-Rocks, der "Picasso of Song" (Leonard Cohen) und für Don McLean der Hochstapler am Rock-'n'-Roll-Thron ("Oh, and while the King was looking down / The jester stole his thorny crown" aus "American Pie") genug von den typischen Tourneen mit der jeweils neuen Platte im Gepäck.

Der Film Renaldo & Clara ist noch immer nicht als DVD erschienen, die Musik der Rolling Thunder Revue ist seit Ende 2002 als CD erhältlich. - © Sony Music
Der Film Renaldo & Clara ist noch immer nicht als DVD erschienen, die Musik der Rolling Thunder Revue ist seit Ende 2002 als CD erhältlich. - © Sony Music

Die letzte Tournee (und gleichzeitige Comeback-Tour) mit The Band lief 1974 routiniert, aber mit einer gehörigen Portion Gefühlskälte in großen Hallen ab. Nichts war mehr da von dem lodernden Feuer von anno 1966 - und schon gar nichts von der Spielfreude der

"Basement Tapes". Das letzte gemeinsame Album "Planet Waves" fand trotz Songs wie "Forever Young" und "You Angel You" wegen des Wechsels der Plattenfirma (Dylan hatte Columbia verlassen, um zwei Platten bei der neugegründeten Asylum zu veröffentlichen) nicht gerade großen Anklang. In dieser Phase der künstlerischen und privaten Neuorientierung erschien 1975 "Blood On The Tracks", ein Album, das die Fans zufrieden stellte, für Dylan aber in erster Hinsicht zur Verarbeitung seiner Probleme diente und folglich nicht wirklich geeignet war, gleich mit einer Serie von Konzerten den Menschen näher gebracht zu werden.

Suche nach Inspiration

Dagegen hatte Dylan Freude am Musizieren mit Kollegen in Greenwich Village gefunden. Dort sah man ihn bei Auftritten von Freunden, dort traf er mit Kollegen alter und neuerer Tage zusammen und suchte nach frischer Inspiration. Roger McGuinn, Kopf der Byrds, empfahl ihm eine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Psychotherapeuten Jacques Levy, der durch seine Arbeit am Broadway von sich hören machte. Die beiden begannen gemeinsam Songs zu schreiben, die 1976 das Album "Desire" bilden sollten. Zwischendurch spielte Dylan seine Entwürfe den Kollegen vor und suchte akribisch nach passenden Musikern für die Studioarbeit (und fand u.a. Eric Clapton).

Auch über die Konzert-Tournee hatte sich "Onkel Bob" schon Gedanken gemacht. Eine wandernde Show mit verschiedensten Musikern schwebte ihm während eines Korsika-Aufenthaltes vor, und Levy arbeitete ein Konzept aus, in dem die nach außen als frei improvisiert wirkende Show doch ziemlich punktgenau durchgeplant war. Zudem waren auch die Künstler, die mitmachen sollten, ziemlich schnell gefunden: Alt-Spezi Bobby Neuwirth (der übrigens in den letzten Jahren einige sehr schöne Platten herausgebracht hat), David Blue, Ronnie Hawkins, Jack Elliott, Joan Baez u. v. m. Phil Ochs nahm er jedoch nicht mit, was viele als endgültigen Knackpunkt im Leben des Songwriters sehen, der sich wenig später das Leben nehmen sollte. Dylan suchte allerdings neben den ihm genehmen alten Kollegen vor allem junge Künstler. Patti Smith erhielt ein Angebot, um sie "groß herauszubringen", das sie jedoch ablehnte. Ronee Blakley nahm an und brachte später noch Joni Mitchell in die Show.

Ereignis des Herbstes 1975

Die "Rolling Thunder Revue" sollte zum Ereignis des Herbstes 1975 werden, von dem bis heute noch erzählt wird. Die Künstler wussten nicht, wo sie auftreten würden, und fuhren mit einem Bus durch Neuengland zu den Großen Seen, um zum Abschluss der Tour in New York zu landen. Doch mit einem offiziellen Konzertmitschnitt ließ man sich bis heute Zeit. Allerdings wurde die "Rolling Thunder Revue" zwischenzeitlich in anderer Form veröffentlicht. Denn was die Revue-Mitglieder damals nicht wussten: Dylan plante die Konzertreise durch den Osten der USA nicht nur, um in einem neuen Rahmen aufzutreten, sondern um die Drehaufnahmen für seinen Film "Renaldo und Clara" durchzuführen. Und so spielten alle Künstler dabei mit: Blakley als Mrs. Dylan, David Blue als Erzähler, Joan Baez als alte Flamme und Ronnie Hawkins sogar als Dylan himself. Und Beat-Poet Allen Ginsberg las nicht nur dem Publikum vor, sondern besuchte mit Dylan auch das Grab von Beat-Legende Jack Kerouac.

Aus diesem Grund sind die nun vorliegenden Aufnahmen just jene, die für den Film verwendet wurden, denn nur bei einigen Konzerten wurde auf 24 Spuren aufgenommen. Das nunmehrige

Album, das in der Reihe "Bootleg Series" erschienen ist und schlicht "Live 1975 - Rolling Thunder Revue" heißt, beschränkt sich auf Dylans Auftritte im Rahmen der "Thunder Revue". Das ergibt immerhin über zwei Stunden Musik. Neben Solosongs gibt es auch Duette mit Baez und McGuinn.

Zwei Dinge fallen beim Anhören sofort auf: Dylan singt deutlich und betont seine Lyrics so effektiv wie nie zuvor oder danach und die Band, die ihn unterstützt, schafft es, sowohl alte Folk-Songs wie auch die neuesten "Desire"-Aufnahmen mit ihrem einzigartigen Sound zu prägen. Mit entscheidend für das gute Zusammenspiel ist Leadgitarrist Mick Ronson, der Mann, der schon David Bowie's "Spiders From Mars" prägte. Neben Ronson waren Howie Wyeth am Schlagzeug und Rob Stoner am Bass entscheidend für den warmherzigen Sound. Dabei hört man den Mannen und Frauen (nicht zu vergessen Scarlet Rivera und ihre magisch klingende Geige) die Spielfreude an. Bei "A Hard Rains-A-Gonna-Fall" beginnen sie sogar mit einem Status-Quo-Riff und nehmen dem Weltende-Song einiges an apokalyptischem Schrecken. "Just Like A Woman" wird ebenfalls sehr locker angegangen und im Stil der "Desire"-Aufnahmen gespielt, und bei Dylan klingt statt Gehässigkeit Abgeklärtheit durch. Der Abschlusssong "Knockin' On Heaven's Door" (mit einem veränderten Text) ist überhaupt eine der besten Versionen des mittlerweile zum Hit gewordenen Filmmusik-Tracks.