Ja, man möchte ihr immer noch gern eine Tasse Spitzwegerichtee mit Honig reichen. Bonnie Tyler gehörte einst zum Triumvirat des Krächz-Pops der 80er, zusammen mit Joe Cocker und Rod Stewart. Italophile würden da vielleicht noch Gianna Nannini hineinreklamieren. Na gut, und Paolo Conte. Es war eine gute Zeit für ramponierte Stimmbänder. Es durfte ja auch noch in jedem Lokal gepofelt werden, bis das neonfarbene Polyester gräulich eingeräuchert war. Bonnie Tyler (67) schenkte der Welt Hits wie "Its A Heartache" oder "Holding Out For A Hero". Lieder, die sich noch heute authentisch nachjohlen lassen, wenn man eine etwas zu lange Nacht gehabt hat und der Duschkopf aussieht wie ein Karaokemikro. Am berühmtesten ist Tyler freilich für die famose Kitsch-Ballade "Total Eclipse Of The Heart".
Viele wehende Vorhänge
Zu der wurde damals eins der dadaistischsten Musikvideos gedreht, das sich nach wie vor großer aus Fassungslosigkeit gespeister Beliebtheit im Netz erfreut. Kein Wunder, eine solche Überfrachtung an zusammenhanglos aneinandergereihten Motiven von Kindern mit Gruselleuchtaugen, einem Schwimmerteam, das unvermittelt seitwärts mit Wasser angeschüttet wird, tanzenden Taliban-Ninjas, sehr vielen wehende Vorhängen bis zum einsamen Highlight: Tänzern in Windeln findet man heute nicht einmal mehr in koreanischen Netflix-Geisterserien.
Die schlechte Nachricht gleich vorab: Einen solchen lustvollen Drama-Humbug wird man aus dem Material des neuen Albums von Bonnie Tyler nicht basteln können. Die gute Nachricht: Auf "Between The Earth And The Stars" klingt Tyler genauso wie vor 40 Jahren. Das ist der Vorteil, wenn man nicht aus der Belcanto-Ecke kommt, sondern immer schon geklungen hat wie ein Schäferhund, der sich verkutzt: Die Fallhöhe ist nicht so hoch. Von Tschickruine übrigens keine Spur: Tyler hat ihre Stimme nicht dem Marlboro-Mann zu verdanken, sondern einer schlecht verheilten Stimmband-Operation. Wenn Bonnie Tyler ein Fan von einer Substanz ist, dann kommt die nicht aus der Tabakindustrie, sondern aus der Verjüngungspharmazie: "Gottseidank gibt es Botox" ist ein Zitat, das ihr zugeschrieben wird und das man den treuen Augen in ihrem starren Gesicht zweifelsfrei abnimmt.
Zeitgeistfreiheit
Dazu passen die Songs auf ihrem Album irgendwie ganz gut. Denn sie kommen im junggebliebenen Sound daher, der ein wenig Nostalgie nicht verhehlt, aber auch nicht darüber hinwegtäuscht, dass man hier kein 19-jähriges Instagram-Hascherl hört. Gleich drei Sirs sind angeritten, um die Waliserin zu unterstützen. Rod Stewart knarzt sich mit ihr durch die munter-unzeitgeistige Geschlechteranalyse "Battle Of The Sexes". Cliff Richard begleitet sie beim Gurgeln zum flott-anschwellenden Stimmungsmacher "Taking Control" und Barry Gibb hat "Seven Waves Away" für sie geschrieben, eine Ballade, die sich mit Synthesizer-Hall wunderbar zur Abkühlphase beim Aerobic eignet. Eindruck hinterlässt der Song "Older", denn ehrliche Liebeslieder mit Protagonisten aus der Altersgruppe 60plus, die tatsächlich eine langjährige Beziehungserfahrung vorweisen können, sind im Pop rar gesät. Ansonsten gibt es auf dem Album viele Country-Zitate, Blechbläser-Bahö und einmal räuspert sich Bonnie Tyler recht unkonventionell mitten im Lied "Someones Rocking Your Heart" mit Schleim. Spitzwegerichtee genehm?