
Ich hasse sie. Ich hasse diese normalen amerikanischen Kids. "Always hating normal normal american empty summer days." Drei Zeilen weiter und keine zwanzig Sekunden später: "Painting myself as a normal American kid I always hated it." Und weiter grummelt sich Jeff Tweedy durch den Song "Normal American Kids" auf dem Wilco-Album "Schmilco" aus dem Jahr 2016. Dabei, Überraschung, war er doch genau so eines. Oder, nach der Lektüre seines Rückblick-Buches, eher doch nicht.
Der am 25. August 1967 geborene Jeff Tweedy wuchs in Belleville in Illinois auf. 40.000 Einwohner, für nordamerikanische Verhältnisse also eher eine Kleinstadt, eine halbe Stunde Autofahrt entfernt von St. Louis. Eine Stadt, die Anspruch darauf erhebt, die längste Hauptstraße der Welt zu haben, 14,8 Kilometer laut Tweedy. Und wie er postwendend ergänzt: in seiner Kindheit und Jugend in den Siebzigern und frühen Achtzigern eine einzige lange Theke. Belleville, eine jener Städte, die genau in diesen Jahren einen ökonomischen Abstieg erlebten.
Mitten drin der kleine Jeff, dessen Mutter TV-süchtig war und infolge des überlaut eingestellten Apparats und der extradünnen Holzwände des Hauses seinen Vater jede Nacht zur Weißglut trieb. Sein Vater war bei der Eisenbahn und musste jeden Tag früh zu seiner Schicht. Dafür bestand sein abendliches Hobby im Leeren von zwei Six-Packs mit billigem Bier. Auch andere Familienmitglieder waren dem Alkohol heftig zugeneigt. Jeff Tweedy selbst setzte dieser Familientendenz im Alter von 23 Jahren ein hartes Ende.
Überwundene Sucht
Tweedy war ein wenig auffälliger Schüler und mit seinem überschaubar bebartetem Erdäpfelgesicht ein den Mädchen wenig auffallender Jugendlicher. Dafür ein musikalischer Außenseiter. Denn er interessierte sich bald für englischen Punk und Musik weitab des Mainstreams. Aus dem Hörer wurde einer, der mit einem ähnlich veranlagten, sozial scheuen Nerd namens Jay Farrar eine erste Band gründete. Sie nannte sich Uncle Tupelo, ein Insiderscherz - was wäre im Südstaatenstädtchen Tupelo aus einem Lkw-Fahrer namens Elvis Presley geworden, wenn er nicht in einem Studio eine Platte für seine Mutter besungen hätte?
Antwort: ein korpulenter alter Lkw-Fahrer, der sich in einem Schaukelstuhl auf der Veranda seines Häuschens in den Sonnenuntergang hineintrinkt. Bald hatte Uncle Tupelo kleine Gigs hier und dort. Farrar und Tweedy fingen an, eigene Songs zu schreiben. Die Band wurde größer. Ihr Stil aus Folk, Rock und Americana kam immer besser an.