
Das Unterfangen, wie der Phönix zu reisen, also eigentlich im englischen Sinn vor allem zu risen und aus dem Nichts auf andere Weise in sogenannte "luftige Höhen" aufzusteigen, als man das sonst so im Alpenraum kennt (Stichwort: Ein Diavortrag von Reinhold Messner, Wolfgang Ambros in "Der Watzmann ruft", Karl-Heinz Grasser auf dem Stephansdom, Hansi Hinterseer und die schönen Berge Tirols . . .), ist Conchita Wurst zweifelsohne gelungen.
Spätestens seit dem Sieg des Song Contests 2014 in Kopenhagen weiß man ja, dass die Idee der Diva mit Haar an der Backe und Wurst unter dem Rock in jedem Fall ihr Publikum findet, weil die einen einen Reibebaum brauchen, der ihnen das Geimpfte so richtig schön aufgehen lässt, und die anderen jemanden, der gemeinsam mit ihnen - oder stellvertretend für sie - für das Gute kämpft: Gleichheit, Gerechtigkeit, (Selbst-)Akzeptanz und natürlich das auch von Gerhard Polt in einer gleichnamigen Nummer einmal sehr gut getroffene Problemfeld der "Toleranz" sind zu nennen.
Nebenprodukt Musik
Kurz gesagt: Nichts gegen die große klassische Divenballade "Rise Like A Phoenix" im Shirley-Bassey-Stil oder die zwei, drei anfänglich mit ihrem Namen verbundenen Songs, bekannt wurde Conchita Wurst aber vor allem als Kunstfigur, die man als Gast auch gut in Fernsehstudios sitzen oder als Testimonial für die Bankwerbung einsetzen konnte. Eine Win-win-Situation im Entertainment-Verständnis, alle verfügbaren Kanäle zu bespielen, wobei man über die Rolle von Musik - sagen wir Pop dazu - als Nebenprodukt durchaus nachdenken durfte.
Auf das im Jahr 2015 veröffentlichte Debütalbum "Conchita" mit verhaltensunauffälligem elektronischem Radiopop und eine dreijährige Standortbestimmung im Anschluss folgte mit "From Vienna With Love" die Rückbesinnung auf große klassische, in diesem Fall aber historisch gut abgehangene Divenballaden, neu interpretiert und in voller Orchesterwucht mit den Wiener Symphonikern eingespielt. Während das begleitende Live-Programm mit einem Auftritt in der Wiener Stadthalle am 26. November wieder aufgenommen wird, kommt es aktuell allerdings zu einer Art künstlerischen Persönlichkeitsspaltung.

Immerhin erscheint am Freitag mit "Truth Over Magnitude" (Sony Music) ein erstes Album unter dem Elektropop-Alias Wurst, mit dem (nach Erstvorstellungen auf dem Life Ball oder dem Popfest) auch am 2. November im Wiener WUK eine Pause vom Conchita-Sein eingelegt wird. Statt immer mit frisch gemachten French Nails und in hautengen Paillettenkleidern auf High Heels durch die Gegend zu stöckeln beziehungsweise im Heidi-Klum-Sinn zu "laufen", gibt es jetzt Freizeitlook in Jogginghose und Tom Neuwirth im Adonis-Style als jungen Römer, wie Gott ihn schuf. Außerdem ist stylingtechnisch kürzeres Haar und kein Augenaufschlag mehr zu verbuchen.
"Oh-Oh! Ey-ey! Lets go!"
Musikalisch setzt es eher auf artsy fartsy gestimmten, also nach Kunstschulhintergrund klingenden Elektropop mit schöngeistig pulsierenden Bässen oder bestimmendem Ton: "I got you in the palm of my hand / I let you lead / But i command!" Wurst fokussiert den Bling-Bling-Einschlag der Glitzerwelt ("Trash All The Glam") mit dem Dartpfeil (wir müssen nur daran glauben!), begibt sich auf die Suche nach zen-buddhistischer Erleuchtung ("Satori") und will mit Stücken wie "Cant Come Back", "Forward" oder "Under The Gun" lieber zeitgeistig vorwärtskommen als altvaterisch zurückblicken. Was ist dort hinten auch schon - außer die Vergangenheit? Die 80er Jahre im Allgemeinen und die Vorlagen der New Romantics im Speziellen werden bei Stücken wie "To The Beat" trotzdem zart in den Sound verwurstet. Die Refrains zünden, Powerballaden werden eingestreut, Herzbruch kommt vor.
Hauptsongschreiberin Eva Klampfer ist in den USA nur knapp an einer internationalen Soulkarriere gescheitert und schmeckt die aktuellen Songs von Wurst mit der gewissen Dosis Soulfulness und Digital-R&B ab. In den lichteren Momenten schummelt sich sogar ein Hauch der "Superfunkypartytime" aus dem Hause Bilderbuch in den Sound. Im Song "Satori" heißt es tiefgründig in bester Maurice-Ernst-Manier: "Oh-oh! Ey-ey! Lets go!"