Gerade wäre man noch recht zuversichtlich und von herzlichen Glückwünschen und guten Vorsätzen begleitet ins neue Jahr gestartet, da wird dieses auch schon überschattet bis gänzlich in Frage gestellt. Abgesehen von der globalen Nachrichtenlage (Kriegsgefahr im Iran, "Megxit" bei den Royals, Justin Bieber leidet an Lyme-Borreliose) ist nicht zuletzt auch die US-Band Algiers ganz vorn mit dabei, wenn es darum geht, 2020 wenig zuversichtlich angehen zu lassen.
Immerhin trägt das am kommenden Freitag erscheinende neue und mittlerweile dritte Album des Quartetts aus Atlanta, Georgia überhaupt den etwas nihilistisch geratenen Titel "There Is No Year" (Matador/Beggars), der auf ein gleichnamiges Buch des US-Autors Blake Butler zurückgeht (von dem auch der Pressetext stammt). Ach ja, die ersten Textzeilen des Eröffnungs- und Titelsongs fallen auch nicht unbedingt positiv aus: "Now its two minutes to midnight / And theyre building houses of cards." Danach geht es zunächst einmal darum, auf den brennenden Straßen Amerikas in Richtung Feuer zu tanzen.
Die Nachricht vom neuen Album der Band um Sänger Franklin James Fisher hat im Vorjahr also vor allem unter all jenen Freude ausgelöst, die eine Nähe zur Freudlosigkeit und zum wunschlosen Unglück haben - was insofern nicht ganz richtig ist, als es bei Algiers immer auch um den guten alten Protest und den Widerstand (gegen das System und die Umstände da draußen) geht.
Unter besonderer Berücksichtigung der Themen rassistisch motivierte Gewalt (man höre etwa die tatsächlich Gänsehaut bereitende Totenandacht "Cleveland" von 2017) und systemische Unterdrückung gehen aktuell zumindest Stücke wie das punkistisch geholzte und nicht nur mit seinen Dampfhammerdrums an den "March Of The Pigs" von den Nine Inch Nails erinnernde "Void" ("Got to find a way / To get out of it") oder "Repeating Night" den Weg des Gegenangriffs. Letzteres setzt unter dem Motto "Its us against them" überhaupt auf alte Blockbildung im Sinne von Klassenkampf, Lagerdenken und als Opposition gedachtes Distinktionsbewusstsein.
Mit Klagechor
Ausgangspunkt für die neuen Songs war übrigens eine Phase der persönlichen Krise von Franklin James Fisher sowie dessen Gedicht "Misophonia". Wobei die damit bezeichnete verminderte Toleranz gegenüber gewissen Geräuschen hoffentlich nicht die Soundgestaltung des Albums betrifft, die mit zum Distortion-Knopf neigenden Störklängen das eine oder andere Arrangement aufweist, das die unwirtliche Themenlage der Texte in ihrer Wirkungsmacht unterstützt.
Von Blake Butler attestierte Einflüsse wie "Scott Walker in seiner 4AD-Ära oder die Berliner Periode von Iggy & Bowie" mag man hören oder nicht, stärker erinnern die in den Vordergrund gerückten elektronischen Arrangements diesmal aber an Depeche Mode in ihrer Phase zwischen den Alben "Construction Time Again" (1983) und "Black Celebration" (1986). Für Depeche Mode waren Algiers schließlich auch vor zweieinhalb Jahren als Support-Act in Europa unterwegs. Sie haben die Band passenderweise in der Phase ihres politischen (Wieder-)Erwachens um Songs wie "Wheres The Revolution" begleitet, was hörbar nicht ohne Folgen blieb.
Unterstützt von den Produzenten Randall Dunn und Ben Greenberg wurde der eklektische Algiers-Sound auf "There Is No Year" noch einmal akzentuiert und geschärft. Er kommt trotz und gerade wegen des Feinschliffs sowie bei leichter Reduktion des Hysterielevels ganz bei sich selber an - und verbindet das Beste aus vielen Welten. Zweifelsohne muss man ja erst einmal auf die Idee kommen, Einflüsse aus Soul und R&B sowie gespensternd zwischen Klagechor und Chain Gang angerichteten Doo-wop-Gesang mit Post-Punk-Gitarren, 80er-Jahre-Elektronik und einem Free-Jazz-Intermezzo kollidieren zu lassen, während der Sänger im Fieber das Licht abdreht. Bei Algiers gelingt auch die Umsetzung mit scheinbar lockerem Händchen. So schwer das Gewicht dieser Welt auch auf den Texten lastet.