Der Albumtitel ist mutig. Wenn man als Band bald drei Jahrzehnte auf dem Buckel hat und ein neues Werk dann nach sich selbst benennt, darf man grundsätzlich von einem Statement ausgehen. Das gilt nun zwar auch für Die Sterne aus Hamburg und ihr jetzt vorliegendes erstes Album seit sechs Jahren, das den Titel "Die Sterne" trägt. Allerdings wäre zu diskutieren, ob es sich dabei nicht um eine Anmaßung handelt.

Nach dem Ausstieg ihres Bassisten Thomas Wenzel und des Schlagzeugers Christoph Leich ist aus dem Ursprungs-Line-up mit Sänger Frank Spilker nur mehr der Chef übrig geblieben. Der posiert auf aktuellen Pressefotos wohl auch deshalb nicht gänzlich unironisch mit Barock-Perücke und in Tüll gehüllt als eine Art lebendes Relikt in der Gegend herum. Im zweiten Song des Albums heißt es: "Der Palast ist leer / Der Garten existiert nicht mehr / Die Provinzen sind verloren / Keine Nachfolger erkoren."

Glücklicherweise ist das aber nicht in erster Linie selbstreferenziell gemeint und bezieht sich auf den losen roten Faden des Albums, der der gesellschaftspolitischen Großwetterlage geschuldet ist. Zwar sind womöglich die Provinzen verloren, weil Die Sterne auf ihrer am 6. März startenden Tour mit Ausnahme der 3365-Seelen-Gemeinde Kirchanschöring in Oberbayern ausschließlich Städte aufsuchen werden. Nachfolger, die sicherstellen, dass es nicht in fester Bandformation, sondern als Projektpartnerschaft und Hauptsache jedenfalls doch weitergeht, wurden dafür aber in Abordnungen befreundeter Acts wie Von Spar oder den Düsseldorf Düsterboys gefunden. Für die Streicherinterpunktionen des Albums hat zusätzlich das Kaiser Quartett gesorgt - und das erhebliche Italo-Disco-Feeling des gegen die Kälte da draußen und drinnen in den Herzen antanzenden Glücksspenders "Der Sommer in die Stadt wird fahren" wurde durch die Einbindung der Partykanone Carsten Meyer alias Erobique garantiert. Allerspätestens an dieser Stelle des Albums weiß man dann, dass Die Sterne auch im Jahr 2020 noch strahlen.

Wer ist wir?

Als ein Drittel an der Speerspitze der Hamburger Schule um die bis heute wacker vor sich hin veröffentlichende Gruppe Tocotronic und Jochen Distelmeyer und seine leider zu früh ausgebrannte Band Blumfeld machten Die Sterne dem kühlen norddeutschen Diskursrock mit einer Extraportion Tanzbarkeit ab dem Jahr 1992 Feuer unter dem Hintern - und sorgten bei aller von Frank Spilkers Stimme mitunter vermittelten Melancholie für ein Mehr an Lebensfreude. Wobei es immer auch darum ging, Songs wie "Scheiß auf deutsche Texte" zum Trotz mit auf Deutsch verfassten Inhalten eine Haltung einzunehmen, sprich die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Diesbezüglichen Erfolg versprach im fernen Jahr 1970 bereits die Vorarbeit von George Clinton und Funkadelic: "Free your mind . . . and your ass will follow." Der Kampf gegen einen Kreislauf aus Verkopft- und Verstocktheit führte bei den Sternen vor allem live zum K.o.-Sieg. Nicht von ungefähr schwingt Frank Spilker bei auf guten alten Discofunk bauenden neuen Stücken wie "Die besten Demokratien" (Verfassungsrecht in sexy!) oder der Verweigerungshymne "Du musst gar nichts" also auch jetzt wieder die Kuhglocke als Kampfschwert.

Der Arbeitsform der Projektgemeinschaft entsprechend hört man im Weiteren neben Motorikbeats und psychedelisch gefärbten Sonnenanbetungsgitarren aus dem Krautrock-Bereich, einer hübschen "Ich bin der Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand"-Melodie der Marke Kraftwerk ("Unterschiedlich subtil") und durch den Orbit schwebenden Wave-Dub ("Drinks & Love") mit "Wir kämen wieder vor" aber auch einen späten Sterne-Klassiker, wie ihn die Band in den 90er Jahren wiederholt so scheinbar mühelos aus dem Ärmel geschüttelt hat.

In Texten über Verführung, Manipulation und das Böse, das vielleicht deutlich näher ist, als man glaubt, legt es Spilker dazu gallig an. "Ich ist die Message / Verkleidet als wir / Ich ist der Lynchmob / Und hat das sagen hier / Der Arsch ist die Message / Und der Messenger." Wo ist hier? Wer ist wir? Wir finden das gut.