Im Frühsommer 1993 war Ishmael Butler erstmals in Wien vorstellig geworden, um beim Jazz Fest das heutige Museumsquartier, damals Messepalast, zu beschallen. Butler nannte sich dazumal Butterfly und war primus inter pares der Digable Planets, die mit ihrer Symbiose aus Hip-Hop und Jazz viel Anerkennung bei Kritikern eingefahren hatten. Teile der diskurserfahrenen Hardcore-Hip-Hop-Klientel allerdings lehnten die drei aus Brooklyn, die nach Mittelschicht und höherer Schulbildung aussahen und rein gar nichts mit Cop-Killing, Homophobie und Sexismus am Hut hatten, vielmehr gegen die in den USA teilweise recht aggressive Anti-Abtreibungs-Bewegung das Recht der Frauen auf Entscheidungsfreiheit einforderten und mit Mariana "Ladybug" Vieira auch eine selbstbewusste Frau an der Rampe hatten, glattweg ab.

Im Zuge ihres Wien-Besuchs stellten sich Digable Planets einem Häufchen Journalisten inklusive dieses Autors. Genaueres kann mangels Verfügbarkeit schriftlicher oder akustischer Aufzeichnungen nicht mehr gesagt werden, nur so viel: Sehr animiert zeigte sich das glorreiche Trio an diesem Vormittag im Hilton nicht. Butler, damals in seinen frühen 20ern, wirkte noch am relativ freundlichsten und kommunikativsten, nichtsdestotrotz recht zurückhaltend, ja fast schüchtern.

Zeremonielle Kluft

Davon ist nichts übergeblieben: Ishmael Butler, der voriges Jahr das halbe Jahrhundert voll gemacht hat, präsentiert sich heutzutage als distinguierte Persönlichkeit mit bisweilen fast an Arroganz anstreifender Selbstsicherheit. Sein dichter weißer Bart verleiht ihm regelrecht die Ausstrahlung eines Gurus, und das Setting der aktuellen Promotion-Fotos verstärkt das sogar: Da zeigt sich Butler, in zeremonieller Kluft, in karger, wüstenartiger Landschaft, den Blick "visionär" in die Ferne gerichtet.

Nun, Butler, heute wieder in seiner Geburtsstadt Seattle ansässig, ist immerhin einer der nicht sehr vielen (physischen oder sprichwörtlichen) Überlebenden jener goldenen Ära des Hip-Hop, in der man es ernsthaft für möglich hielt, dass diese Kultur dazu beitragen könnte, die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Butler nennt sich nun Palaceer Lazaro und verfolgt als solcher – lange Zeit mit Multiinstrumentalist Tendai "Baba"Maraire, neuerdings allein – seit 2009 das Projekt Shabazz Palaces. Dieses hört sich, als einer von ganz wenigen Hip-Hop-Acts bei dem als Brutstätte des Grunge berühmten Seattler Label Sub Pop beheimatet, naturgemäß ziemlich anders an als Digable Planets, reflektiert produktionstechnische Entwicklungen von Jahrzehnten und hat eine stärkere Affinität zu elektronischen Stilmitteln. Jazz ist darin aber immer noch ein Faktor, wie Butler in einem Interview mit dem Radiosender "NPR" erklärt hat: "In dem Sinn, dass ein Grundvertrauen in Improvisation und den Instinkt da ist, hat es sicher eine Jazz-Sensibilität."

Hermetische Sprachbilder

Es bezeugt fraglos auch Liebe zum Genre, dass Butler seinen heute 24-jährigen Sohn Jazz genannt hat. Dieser hat seinerseits unter dem Alias Lil Tracy als Emo-Rapper und Sänger Karriere gemacht. Auf "The Don Of Diamond Dreams", dem nun vorliegenden fünften Album von Shabazz Palaces, greift Butler denn auch tatsächlich Einflüsse des Filius auf. Im Video zu "Fast Learner" hat dieser sogar einen Cameo-Auftritt. Im dazugehörigen Song, der in Butlers gewohnt hermetischen Sprachbildern möglicherweise die kontemporäre Hip-Hop-Szene ein bisschen auf die Schaufel nimmt, tritt Butlers nach wie vor biegsamer, weicher, den Grenzbereich zur Melodie suchender Rap-Vortrag auf Basis eines fast klassizistischen Synthie-Motivs in einen angeregten Dialog mit dem Sänger Purple Tape Nate.

Das zügige "Bad Bitch Walking" mit vokalem Gastgeschenk der Rapperin Stas THEE Boss hat, lyrisch fraglos keine Meisterleistung, viel vom geradlinigen Groove des Stereo-MCs-Klassikers "Connected". Und das abschließende "Reg Walks By The Looking Glass", mit Gesang und tollem Saxofon des auch als Co-Autor notierten Funk-Jazzers Carlos Overall, kommt als leicht esoterische Soul-Ballade daher.

Am schönsten funkeln diese diamantenen Träume aber in "Wet", das mit einem burlesken, tatsächlich wässrig anmutenden Synthesizer den melodischen Flow von Butlers Text aufnimmt und mit einem Fuzz-Gitarren-Loop ausklingt