C, C, C, C, C, C, C, C. Was nach einem Gestotter klingt, war 1964 die Geburtsstunde der Minimal Music. Und ein echtes Novum.

Wie der Name schon sagt, ist die Minimal Music keine Freundin der Fülle. Dieselbe Note darf fließbandartig wiederkehren. Hinzu kommt ein Prinzip, das der Autofahrer aus dem Stadtverkehr kennt. Stehen zwei Ampeln mit unterschiedlich langen Grünphasen hintereinander, ist eine freie Durchfahrt ein reiner Zufall. Phasenverschiebung heißt das. Terry Riley hat sie für sein Stück "In C", quasi Opus eins der Minimal Music, fruchtbar gemacht. Vereinfacht gesagt: Musiker A wiederholt ein kurzes Motiv, Musiker B ein längeres, beide beginnen gleichzeitig. Ergebnis: Die Muster überlagern sich immer wieder anders.

Ausbruch aus der Dogmatik

Das klingt jetzt nicht weltbewegend. War es aber für die Welt der "Ernsten Musik". Wer damals komponierte, musste sich einem Dogma fügen, vor allem in Europa: Die Stücke hatten vertrackt und abstrakt zu sein. Abweichler? Wurden mit dem Kainsmal des Kitschmusikers und des Vorgestrigen belegt. Das war im Nachkriegsdeutschland durchaus politisch gemeint. Den düsteren Hintergrund bildeten das Nazi-Regime und seine Vorliebe für den romantischen Wohlklang. Die Avantgarde suchte danach ihr Heil im Bruch. Wie rigid er gelebt wurde, belegt eine Anekdote von 1957: Bei der Premiere von Hans Werner Henzes "Nachtstücke und Arien" verließen Pierre Boulez, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen den Saal - obwohl das Stück nur Restbestände von Harmonie barg.

In dieses Klima drang also ein Fremdkörper: C, C, C, C, C, C, C. Ein Schock. Eine Ketzerei gegen die einzig "richtige" Musik. Und, umso schlimmer: Die Minimalisten beriefen sich auf ein neues Konzept, ließen sich also nicht als Gestrige abstempeln. Europas Sittenwächter hatten vorerst Glück: Die Minimalisten kamen aus den USA und blieben dort verwurzelt. Andere Länder, andere Schulen. Dennoch konnten ihre Töne in Europa nicht unbemerkt bleiben, fanden allmählich Sympathisanten und trugen so dazu bei, dass die dogmatische Kruste eines Tages doch aufbrach.

Nun ist Brisanz eine Frage des Kontextes. So schnell sie kommt, kann sie verpuffen. Ein Beispiel aus der Modewelt: die schwarze Lederjacke der 70er Jahre. Damals Statussymbol unter Hardrockern, verkam sie bald zur Mode für Geschmacksarme. Auch mit der Minimal Music ging es bergab. Das lässt sich zwar nicht grosso modo sagen angesichts schillernder Stil-Mixer wie John Adams. Wo die Minimal Music aber bei ihrer Wurzel blieb, klingt sie heute nach einem alten Hut. Und nach reiner Anbiederung. Paradebeispiel Philip Glass: Der US-Amerikaner verdient gutes Geld mit Orchesterklangtapeten. Sein Rezept: Die Wiederholung von drei, vier Dur- und Moll-Akkorden bis zum Sanktnimmerleins-Takt. Klingt dann ein bisschen wie eine Barockarie minus Melodie. Gewiss: Dieses Klangbild kann Filmen einen atmosphärischen Dienst leisten, und Glass ist dies immer wieder gelungen. Wird sein Geplätscher aber zur Hauptattraktion aufgewertet - und von Glass gibt es auch Opern -, tönt es wässrig.

Verblöden im feinen Zwirn

Und doch sind Philip Glass’ Stücke Sphärenklänge, verglichen mit jüngsten Entwicklungen. Vor rund zehn Jahren hat sich die Minimal Music mit einem soften Klangkulissen-Pop ins Bett gelegt und etwas geboren, das sich keck "Neoklassik" nennt.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht darum, die Schwachbrüstigkeit eines Stils anzuprangern, der eher tönendes Raumspray ist als Musik. Was nervt, ist die Pose, mit der die "Neoklassik" ihren eigentlichen Bestimmungsort - Massage-Tempel, Strandbars und Chillout-Räume - verleugnet. Andreas Gabalier ist in dem Zusammenhang ein leuchtendes Gegenbeispiel. In der Haartolle Gel, auf dem Mikrofonständer ein Geweih, rund um den Bizeps ein Schnäuztuch: Da weiß man gleich, was es geschlagen hat. Die "Neoklassik" bemäntelt ihr Tun aber mit dem Samt der Hochkultur. Der Etikettenschwindel beginnt beim Namen. "Neoklassik"? Ja, so etwas Ähnliches gab es schon einmal, die Verwechslung dürfte erwünscht sein. Der Namensvetter hieß "Neoklassizismus", hatte seine Blüte vor 100 Jahren - und besaß Substanz. Seine Vertreter, gestandene Tonsetzer, mischten dem Kontrapunkt verflossener Jahrhunderte augenzwinkernd ein paar "falsche" Noten bei.

Die "Neoklassik" kennt keinen Kontrapunkt. Und kaum Ironie. Sie geriert sich als weihevolle Handreichung zur Kontemplation. Ihren Hohepriester hat sie in Ludovico Einaudi. Alles an dem Weißschopf verströmt Distinktion. Die Herkunft (der Großvater: italienischer Staatspräsident), die Ausbildung (Komponist Luciano Berio), der Wohnort (Weingut im Piemont). Und die Stücke? Sie tragen Titel, die auch auf einem Buchdeckel des Allerweltsmystikers Paulo Coelho landen könnten. "Elegy for the Arctic", "Ascent", "Oltremare". Klingt nach Selbstversenkung. Nach Innerlichkeit. Tatsächlich besitzen diese Klavierstücke, von Einaudi selbst am sanft verfremdeten Flügel vorgetragen, nicht mehr Tiefe als der Neusiedler See. Das neue Album "12 Songs From Home" ändert am bisherigen Schaffensstil genau nichts: Einaudi eröffnet mit "A Sense of Symmetry", einer Nummer, die tatsächlich eher Sinn für Monotonie verrät. Mehr als eine Minute kehrt derselbe, sachte Akkordwechsel wieder. Schon wahr: Würde sich darüber eine Melodie wie in Erik Saties "Gymnopédie No. 1" wölben, wäre es ein Meisterwerk. Einaudi aber baut auf Unterforderung. Die rechte Hand tritt mit Akkordzerlegungen hinzu, hier und da auch mit floskelhaften Phrasen. Gewinnt Banales an Bedeutung, wenn man es nur leise genug raunt? Es beschert Einaudi jedenfalls volle Konzertsäle und einen Vertrag beim Prestigelabel Decca. Dort dürfte man den Unterschied zwischen Heino und Heine, Alban und Andrea Berg zwar wohl kennen, aber auch die "Philosophie" vertreten, dass Geld nicht stinkt.

Plätschernder Pathosporno

Und so sind mittlerweile etliche Berieselungsartisten zu "Komponisten" geadelt worden. Die Melancholie-Meterware von Ólafur Arnalds, das Elektro-Getröpfel von Nils Frahm, das Sphärengewaber von Dirk Maassen - alles beliebt in jenem Marktsegment, das sein Entspannungsbedürfnis gern mit Selbstbetrug kaschiert. Fahrstuhlmusik? Iwo, Ambient in John-Cage-Tradition! Einen schmusigen Spitzenwert erreicht die australische Pianistin Sophie Hutchings: Ihr Album "Scattered on the Wind" (Mercury KX) verquirlt Streicherschwaden, Sphärengesänge und Klaviertupfer zu einem plätschernden Pathosporno. Ohne Inhalt, dafür mit viel Bildungsornament. "Neoklassik": Das ist wie ein Blindtext in prächtigen Lettern. Wie ein Hamburger mit Tofu-Laberl. Wie Schummelschinken. Wie Analogkäse.

Am ehrlichsten noch Max Richter, Filmmusiker und Komponist wie viele seiner Kollegen: Er hat 2015 sein achtstündiges Opus magnum "Sleep" herausgebracht, ein "Wiegenlied für eine hektische Welt". Auf dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Krise wurde es weltweit ausgestrahlt - um den Menschen Ruhe und Kraft zu schenken, hieß es. Die guten Absichten in Ehren, aber: Rein künstlerisch wäre es genauso sinnvoll gewesen, eine Nacht lang das Testbild zu senden.