Das Quokka ist ein australisches Kurzschwanzkänguru und eigentlich nachtaktiv. Doch auf Rottnest Island hat die Quokka-Population ihren Schlafrhythmus mit der Zeit an kulinarisch großzügige Touristen angepasst. Momentan müssen auch die heimischen Nachteulen ihren Rhythmus umstellen, um überhaupt ausfliegen zu können. Wo vor einigen Monaten allmählich die ersten frühen Vögel eintrudelten, ist während der Corona-Krise längst Sperrstunde. Wo man sich früher noch in Schwarmchoreografien zur Musik bewegte, gilt es momentan, Abstand zu halten und Platz zu nehmen.

Seit Anfang Juni bespielt das Werk seine Open-Air-"Kulturterrasse" am Donaukanal jeden Donnerstag bis Sonntag, jeweils ab 16 Uhr. Vor der kleinen Bühne parkt die Hälfte eines alten Autos, davor versammeln sich Heurigentische und -bänke. Bunte Girlanden ziehen sich von Graffitiwand zu Graffitiwand. Die Snacks kommen vom Gastro-Stand, die kühlen Getränke von der Bar. Eintritt: frei. Wer sich in den vergangenen Wochen gefragt hat, wo der Sommer abgeblieben ist: Hier ist er. Am Sonntag lesen zuerst Wolfgang Eigensinn, Jopa Jotakin, Raoul Eisele und Thomas Havlik, dann sorgt das DJ-Kollektiv hausgemacht den Rest des Abends für wohltemperierten Techno. Eine bunte Mischung aus Kunst- und Clubszene, darum geht es hier. Mal veranstaltet man Lesungen oder Konzerte, mal gibt es Visual Art oder Live-Malerei, und immer wieder DJ-Sets, für die die Nachteulen bis vor Corona das Werk bis in die frühen Morgenstunden so gerne frequentierten.

Umsatz erst nach Mitternacht

Terrassen-Töpfern mit Gleichgesinnten. - © Christoph Liebentritt
Terrassen-Töpfern mit Gleichgesinnten. - © Christoph Liebentritt

Bis das wieder sein darf, könnte es allerdings noch dauern. Daher versucht sich die Nachtgastronomie inzwischen mit Alternativveranstaltungen wie Sitz-Konzerten oder Open Airs über Wasser zu halten. Der Frust ist groß, bedenkt man, dass Nachtlokale wie das Werk einen Großteil ihres Umsatzes erst nach Mitternacht erwirtschaften, der während des Shutdowns sowieso gänzlich ausblieb. Als Club einen Außenbereich zu besitzen, ist momentan ein Riesenvorteil. Das ist Inhaber und Betreiber Stefan Stürzer bewusst: "Sitz-Konzerte drinnen wären bei uns nicht rentabel. Draußen können wir mehr Leute versorgen. Und im Sommer sind Open Airs generell naheliegend. Mit Outdoor-Events wie dem Donaukanaltreiben und Kunst am Kanal hatten wir in den vergangenen Jahren bereits gute Erfahrungen."

Dass Kunst- und Club-Szene eng ineinandergreifen, das ist nicht erst seit Corona so. Immerhin versteht sich auch das Werk nicht bloß als Club allein, sondern als umfassende Kunst- und Kulturinitiative. Hinter den aufwendig besprühten Backsteinwänden der Stadtbahnbögen tut sich einiges: Kunstschaffende können sich in Ateliers einmieten und auch im Werk selbst finden regelmäßig die unterschiedlichsten Konzerte und Kulturveranstaltungen statt. Dass man jetzt - rein metaphorisch - noch enger zusammenrückt, macht allein schon deshalb Sinn, weil nicht nur die Nachtgastronomie, sondern auch die Kulturszene im Allgemeinen mit ausgefallenen oder stark reduzierten Veranstaltungen kämpft.

Und das Konzept geht auf. Die Kulturterrasse ist bereits am frühen Abend gut besucht. Die Techno-Klänge wabern verhalten über die plaudernden Köpfe hinweg. Dass das natürlich ein ganz anderes Erlebnis ist, als in einem rappelvollen Club direkt vorm DJ-Pult gegen den Beat anzuwackeln, während einem der Bass durch die Brust hämmert und das Strobo-Licht die Orientierung raubt, ist klar. Auch Open-Air-Veranstaltungen unterliegen nun einmal strengen Richtlinien, gerade wenn es um die Lautstärke geht. Man tut eben, was man kann, und arbeitet mit dem, was momentan möglich ist. Und wer meint, Techno funktioniert nur spätnachts in dunklen Clubs, der war wahrscheinlich noch nie auf einem Festival.

Wer malen will, der male

Die Veranstaltungsreihe "Bunker Mukke" bringt Kunst und Techno ebenfalls zusammen, schon vor Corona in wechselnden Locations und seit einem Monat jeden Freitag im Open-Air-Bereich des Flex. Begleitet von verschiedenen DJ-Sets sind die Gäste dazu eingeladen, in den Liegestühlen des Clubs Platz zu nehmen und selbst Kunst zu machen. Eintritt: ebenfalls frei. Wer malen will, soll malen, wer töpfern will, soll töpfern. Was man dazu braucht, muss man allerdings selbst mitbringen. Überlebensgroße David-Statuen werden hier also wohl eher nicht entstehen. Aber darum geht es ja auch nicht. Man versteht sich als offene Plattform für junge Kunstschaffende, um sich auszuprobieren, auszutauschen und von der Musik treiben zu lassen. Neben dem DJ-Pult zeichnet ein Künstler hinter seiner schwarz-weißen Harlekin-Maske einen weiteren Harlekin mit Kohle auf Papier, während die Abendsonne noch kräftig Sommer macht. Er nennt sich Mr. Chaos und ist Teil des Bunker-Mukke-Kollektivs. Es dauert eine Weile, bis er von seiner Zeichnung aufsieht. Neben den dröhnenden Boxen scheint er ganz versunken in sein Bild. Dass bisher trotz des starken Zulaufs kaum Gäste mit Zeichenblock oder Staffelei angerückt sind, davon lässt man sich nicht beirren.

Bunker Mukke, das war vor zwei Jahren erst einmal ein Podcast, mit dem Organisator Nash, der selbst als DJ Schallvergiftung aka. REE:RAW auflegt, verschiedenen DJs eine Plattform geben wollte. Daraus entwickelte sich schließlich ein genreübergreifendes Konzept. "Weil ich viele Künstler in meinem Freundeskreis habe, die verschiedene Arten von Kunst machen, wollte ich das verbinden und etwas Neues schaffen", sagt er. Also fing man an, Live-Streams aus Clubs zu organisieren, bei denen sich DJ-Sets, Live-Malerei und Lichtinstallationen in psychedelischer Verschmelzung abwechseln. Die finden parallel zu den analogen Events weiterhin statt, der nächste etwa am 13. August auf der Kulturterrasse. Und anders als bei den bisherigen Streams soll dieser zugleich eine öffentliche Veranstaltung sein.

Livestream-Übersättigung

Als andere im Zuge des Corona-Shutdowns auf Online-Formate umgestiegen sind, waren die Bunker-Mukke-Künstler auf diesem Gebiet also längst Routiniers. Ein Vorteil sei das aber während der Isolation dennoch nicht gewesen, erzählt Nash. "Durch Corona hat sich schnell eine große Übersättigung an Live-Streams beim Publikum eingestellt." Dass diese Streams für Clubs wie für Künstler keine besonders ertragreiche Alternative darstellen, liegt auf der Hand: Live ist nun mal live. Auch das Werk hat immer wieder DJ-Sets und Konzerte in die Wohnzimmer übertragen. Zusätzlich startete man die Crowdfunding-Kampagne "Rettet das Werk", bei der sich auf Facebook zahlreiche unterstützende Stimmen aus Kunst und Kultur zu Wort meldeten. Am Samstag war das Ziel von 30.000 Euro erreicht.

Dauerhafte Rettung ist das natürlich keine, aber es ist zumindest ein Anfang und ein klares Zeichen der Solidarität. Nun geht es darum, sowohl der Kunst- als auch der Clubszene nach dem Shutdown wieder Leben einzuhauchen. "Die Kultur braucht in Österreich eine Lobby", sagt Stürzer. Das habe die Corona-Krise eindeutig bewiesen. Im Werk stehen die Chancen jedenfalls gut, dass die Kulturterrasse in den Sommermonaten auch über die Krise hinaus erhalten bleibt.