Im Regelfall verlangt Pop natürlich nach dem großen Spektakel. Wenn nach dem Tusch zum Auftakt kein Höhepunkt folgt, der vom nächsten Highlight gleich überboten wird, kann man die Sache eigentlich schon wieder vergessen. Das gilt gerade in der Zeit der straffen Aufmerksamkeitsökonomie, in der nur leider die Konzentration stark nachlässt, weil man ja allerweil von irgendwoher mit dem Verlangen nach Wahrgenommenwerden beschossen wird. Ist? Da? Jemand?

Speziell bei Preisverleihungen, bei denen es bekanntlich darum geht, vor allem sich selbst zu feiern, um im Rahmen einer tränenerstickten Rede ein Danke an die tote Verwandtschaft zu richten und den Weltfrieden einzufordern, geht weniger als alles eigentlich gar nicht. Das ist so, seit ein entsprechendes Unterhaltungsindustriegesetz in einem Hinterzimmer in Hollywood ausgeheckt, skriptförmig in Stein gemeißelt und von Audrey Hepburn unter Zuhilfenahme eines dramatisch inszenierten Augenaufschlages in einem bodenlangen Paillettenkleid generalgeprobt wurde.

Ohne Preisträger

Die Amadeus Awards konnten einem am Donnerstag also beinahe leidtun. Ausgerechnet zum 20. Jubiläum der größten, wichtigsten und einzigen Musikpreisverleihung des Landes war an die üblichen Standards einer von der Corona-Krise ohnehin existenziell getroffenen Branche nicht einmal zu denken. Man erlebte eine voraufgezeichnete Show ohne die für ein Spektakel zwingenden Zutaten roter Teppich, Konfettiregen, Backstage-Schlägerei oder Saalpublikum, bei der die Ausgezeichneten mitunter abgekämpft wirkten. Neben seinem seit dem letzten Konzert offenbar versteinerten Gitarristen nahm etwa Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst außer einen Amadeus in der Kategorie "Pop/Rock" auch einen als "Live-Act" zur Kenntnis: "Man arbeitet ja doch auch superstark rein."

Der in der Kategorie "Electronic/Dance" ausgezeichnete Linzer DJ und Elektroswinger Marcus Füreder alias Parov Stelar nahm in der Rückschau sogar das Wort "Burn-out" in den Mund. Und er berichtete aus dem nicht immer glamourösen Inneren des heimischen Pop-Gewerbes: "Es is hoit monchmoi a hoarter Preis, den ma zoit." Gemeint sollte damit aber nicht der Amadeus sein. Dem nicht zuletzt am deutschen Markt für Millionenumsätze sorgenden Rapper RAF Camora war seine jüngste Auszeichnung ("Hip-Hop/Urban") übrigens gerade noch genug wert, um nicht einmal eine Dankesrede zu schicken. An dieser Stelle wurde die Show ohne Publikum über einen Preis ohne Preisträger endgültig zum Geisterspiel.

Apropos Aufmerksamkeit: Der von Tom Neuwirth alias Wurst moderierte Abend mochte dramaturgisch zwar nicht viel spannender sein als das Telekolleg "Physik" auf ARD-alpha - oder die Weltmeisterschaft im Fliegenfischen als Live-Ticker. Nach Jahren der eingeschränkten Reichweite im Privatfernsehen nimmt seit 2017 der ORF aber wenigstens seine öffentlich-rechtliche Aufgabe wieder wahr - und ist zumindest dabei.

Supergroup & Sperrstunde

Dies dürfte nicht zuletzt einen weiteren Mehrwert haben. Die erstaunten Blicke bei Auftritten etwa der rabiaten oberösterreichischen Dialekt-Rapperin Hunney Pimp daheim in den Wohnzimmern hätte man gerne gesehen. Irritation auch bei Melissa Naschenweng (Amadeus in der Kategorie "Schlager/Volksmusik"), die man sich mit ihrem Hit "I steh auf Bergbauernbuam" als weibliche Entsprechung von Andreas Gabalier vorstellen darf, Stichwort "Lederhosenrock". Zur besten Sendezeit gut gewöhnen hingegen konnte man sich bereits bisher an Seiler und Speer. Das für den "Song des Jahres" gewürdigte Wiener Duo sendet seine Probleme mit der Exekutive im Normalfall allerdings via Ö3: "Tuad ma lad, Herr Inspektor, owa davon was i nix!"

In der Kategorie "Alternative" gewann die sympathische All-female-Supergroup My Ugly Clementine um Songwriterin Sophie Lindinger, beim "Album des Jahres" konnte sich Voodoo Jürgens mit den Owezahrer-Songs von "’S klane Glücksspiel" gegen den absurderweise mit einer Best-of-Kompilation nominierten DJ Ötzi durchsetzen.

Der "FM4 Award" für das ursprünglich aus Südtirol stammende Duo Anger wurde bereits im Vorfeld verkündet. Ebenso die Auszeichnung André Hellers in der Kategorie für gehobenes André-Heller-Sein. Zur Würdigung seines Lebenswerks kam Bundespräsident Alexander Van der Bellen höchstpersönlich ins Café Hawelka angerückt. Ob die Sperrstunde diesmal eingehalten wurde, ist nicht überliefert.