Eine Geschichte über George Harrison ist in der Regel eine Geschichte in Superlativen. Eine Geschichte, die betont, was er letztlich alles den anderen Beatles, insbesondere John Lennon und Paul McCartney, voraushatte. Das ist natürlich seinem Rollenbild in der berühmtesten Band der Popgeschichte geschuldet, galt der im Februar 1943 in ärmlichen Verhältnissen in Liverpool geborene Sänger und Gitarrist doch stereotyp als "der stille Beatle" und lange nur als Beiwagerl zu den beiden Bandleadern.
Dass er 1968 mit dem größtenteils instrumentalen, herrlich verschrobenen Album "Wonderwall Music" als Erster der Fab Four den Sologang einlegte, eröffnet die individuelle Heldenlegende des George Harrison, an deren anderem Ende mit einer Coverversion von Rudy Clarks "Got My Mind Set On You" die bisher letzte US-Nummer-eins eines Beatles, sein großes "Handle With Care" mit der "Supergroup" The Traveling Wilburys und schließlich der viel zu frühe Tod durch Kehlkopfkrebs im November 2001 stehen.
Monströses Format
Schon früh, 1970/71, wurde diese Legende von einer schier unmöglichen Steilkurve beschrieben. Diese hatte einen klar definierten Scheitel namens "All Things Must Pass": erstes "echtes", dramaturgisch tatsächlich als solches konzipiertes Triple-Album der Popgeschichte. Trotz des monströsen Formats sieben Wochen lang Nummer eins in den USA. Erfolgreichstes Solodebüt eines Ex-Beatles. Und wenn auch "My Sweet Lord" wegen seiner unüberhörbaren Ähnlichkeit zu "Hes So Fine", einer vierwöchigen US-Nummer-eins der Girl Group The Chiffons von 1963, gerichtlich als "unbewusstes Plagiat" gewertet und Harrison zu einer massiven Tantiemen-Nachzahlung an die Rechteinhaber verdonnert wurde, war es auch die erste Nummer-eins-Single eines Ex-Beatles in den USA, 16 weiteren Ländern, und im UK die erfolgreichste Single 1971 überhaupt.

"All Things Must Pass" in der 8LP-Super-Deluxe-Box.
- © Universal Music"All Things Must Pass", unverzüglich mit prominenter Unterstützung durch Eric Clapton, Ringo Starr, Klaus Voormann, Billy Preston, Gary Wright u.v.a. nach dem Split der Beatles im April 1970 realisiert und im November 1970 veröffentlicht, hat eine jahrelange Vorgeschichte. Diese dreht und windet sich hermetisch um den Fokus Anerkennung: Ab 1968 war Harrison zunehmend aus dem Beatles-Kosmos ausgeschwärmt und hatte sich u.a. mit Bob Dylan, den Roots-Rock-Pionieren von The Band, dem Blues-Soul-Duo Delaney & Bonnie und mit Eric Clapton, mit dem er den späten Cream-Hit "Badge" schrieb, angefreundet. Steigender Akzeptanz in der avancierten Szene stand Beatles-intern die fortwährende Geringschätzung durch Lennon und McCartney gegenüber, die den Gitarristen ihre Zweifel an seinen kompositorischen Fähigkeiten weiterhin deutlich spüren ließen.
Zwangsläufig bestand "All Things Must Pass" großteils aus Songs, die Harrison in der Beatles-Ära geschrieben hatte. Einige davon, wie die Bedenk-oh-Mensch-Ballade "Isnt It A Pity" oder das zügige "Art Of Dying", reichen zurück bis 1966 und waren von Lennon/McCartney ebenso verworfen worden wie später der von The Band inspirierte Titelsong, das angesoulte "Hear Me Lord" oder "Let It Down", dessen instrumentaler und vokaler Bombast eindrücklich die Handschrift von Co-Produzent Phil Spector trägt.
Sinnsuche
Songs wie das bitter-sarkastische "Wah-Wah" oder "Run Of The Mill" reflektieren wiederum Harrisons Frustrationen mit den Beatles. Seinem engen Draht zu Bob Dylan verdankt Harrison die Co-Komposition "Id Have You Anytime", Dylans damals neues Liebeslied "If Not For You" und die Inspiration zu seiner eigenen schönen Ballade "Behind That Locked Door". Vergangenheitsbewältigung, Sinnsuche, kreative (Selbst-)Offenbarung - "All Things Must Pass" ist thematisch so universal und ausgereift wie sein scheinbar unangestrengtes Driften zwischen geradlinigem Pop, Folk, Gospel, R&B und teils zünftigen instrumentalen Blues-Rock- und Rock-&-Roll-Jams musikalisch phänomenal.
Zum jahreübergreifenden 50. Jubiläum sind nun bei Universal Music verschiedene Deluxe-Editionen mit bisher unveröffentlichten Songs und alternativen, meist etwas schlankeren Mixen der bekannten Titel erschienen. Eine streng limitierte "Uber (sic!) Deluxe Edition" versammelt 8 LPs und 5 CDs in einer Holzkiste mit Buch, gelaserten Eichenholzstücken aus Harrisons Garten - und Nachbildungen der Gartenzwerge, die einstens das ikonische Cover von "All Things Must Pass" geschmückt haben.