Eine Eröffnungszeile wie "It’s only the end", vorgetragen als Trauermeditation angesichts der Verhältnisse da draußen, kann einem im Moment schon einmal schwer zusetzen. Zumal nach einer kurzen dramaturgischen Pause mit der Fortsetzung "... of an endless time" exakt nichts besser wird. Eine gewisse "World-Weariness" ist nicht nur der erschöpften Vortragsstimme anzuhören. Auch uns selbst geht dieser schein- oder hörbare Abgesang auf etwas, das war, aktuell doch noch einmal näher, als er es im schnöden Regelfall der alten Weltordnung tun würde, sprich: getan hätte.

Sorge um den Heimatplaneten

Der rücksichtlose Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist zwar nicht das Thema der zehn neuen Songs, die die kanadische Sängerin und Songwriterin Tamara Lindeman alias The Weather Station soeben mit ihrem neuen Album "How Is It That I Should Look At The Stars" vorgelegt hat. Dennoch ist es schwer möglich, den aktuellen Krisenherd Nummer eins beim ermatteten Hören dieser in ihren Grundzügen bereits vor drei Jahren entstandenen Arbeit nicht mitzudenken.

Immerhin bringt die 37-Jährige mit ihrem vor allem umweltbewussten Songwriting eine generelle Sorge um den Heimatplaneten zum Ausdruck, die immer auch auf einer Tatsache beruht: Wie derzeit zwischen Breaking News im Fernsehen und diversen Live-Tickern im Internet im aufreibenden Dauerstakkato überprüft werden kann, sind unsere bestimmenden Krisen nach wie vor hausgemacht. Der Mensch als Wolf des Menschen - seit dem antiken Komödiendichter Titus Maccius Plautus oder vor allem der staatstheoretischen Grundlagenarbeit von Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert und dem "Krieg aller gegen alle" aus dem "Leviathan" hat sich daran wenig geändert.

Nach drei seit dem Jahr 2009 veröffentlichten Alben ist der bereits vom Bandnamen her naturbewussten Unternehmung The Weather Station gerade erst im Vorjahr mit dem in sämtlichen globalen Bestenlisten gefeierten vierten Streich "Ignorance" der Durchbruch gelungen. Darauf hörte man nachdenklichen Songwriterinnenpop im Geiste früher Welthits der musikalischen Ökobewegung um Joni Mitchells "Big Yellow Taxi" von 1970 über das Abholzen und Zubetonieren, das auch und gerade 50 Jahre danach noch oder wieder fröhliche Urständ feiert, während selbst Atomenergie auf einmal als grün gelten soll.

"How Is It That I Should Look At The Stars" ist laut Lindeman nun nicht als Nachfolgealbum, sondern als Schwesternstück zu verstehen. Immerhin sind die an drei Tagen live eingespielten Songs zum gleichen Zeitpunkt entstanden, sie erschienen der Musikerin aufgrund ihres zurückhaltenden Balladenduktus aber als zu sanft für das Werk, das sie mit "Ignorance" aufnehmen wollte. Und tatsächlich drängen die im Kern auf Klavier und Gesang beruhenden neuen Stücke nun deutlich zum Pianissimo. Zwar hat die Musikerin auch hier mit zentralen Playern der Jazz- und Improvisationsszene Torontos zusammengearbeitet. Allerdings obliegt es sämtlichen Protagonistinnen an (Lap-Steel-)Gitarre, Kontrabass, Saxofon, Klarinette, Wurlitzer und Fender Rhodes, nicht nur die zweite Geige zu spielen, sondern mehr als zurückhaltend aus dem Off zu interpunktieren. Das sorgt für hübsche wie hübsch sedative Ergebnisse, die man mitunter auch als Einschlafhilfe heranziehen kann.

Einmal mehr jedenfalls überzeugt Tamara Lindeman vor allem mit einem: Ihre oft auf Momentaufnahmen und -beschreibungen ausgerichteten Texte, die das Private im Optimalfall mit dem Politischen kombinieren, spiegeln ihre Inhalte auch in der Form. Sie setzen also auf ein gerade im Fachbereich Pop vergleichsloses Nature Writing. Im Eröffnungssong "Marsh" beispielsweise ist es ein persönlicher Streit, der sich im weiteren Verlauf noch als von der US-Präsidentschaftswahl 2020 angestoßen erweist, von dem sich die Protagonistin mit einem Spaziergang an der frischen Luft regeneriert. Wobei man an grauen Tagen auch beim Birdwatchen schwarzsehen kann. Im Hintergrund tritt ein schlammiger Fluss über das Ufer, Rohrkolben und Schilf treiben im Rinnsal, Bachläufer und Mosquitos geben ihrem Appetit auf Menschenblut nach: "I try to really see the beauty, the blue and green, and light green, and yellow green, and blue green and grey green, and muddy green - but all I can see today is black!"

In Songs wie "Sway" und "Loving You" mögen Musik und Liebe Kraft und Trost verheißen. Fernab der städtischen Lichtverschmutzung leidet Tamara Lindeman heute aber selbst beim Sternderlschaun in der Wüste an der Welt. Herzen brechen, Tränen kullern. Dass die Songs dabei weniger hoffnungslos als vielmehr friedvoll klingen, ist ein eigenes Kunststück.