Die Frau ist familiär vorbelastet. Zum einen hat ihr Vater als Elvis-, Neil-Diamond- und Frank-Sinatra-Imitator wohl seinen Anteil daran, dass auch Maylee Todd selbst gerne in andere Rollen schlüpft. Zum anderen ist überliefert, dass bereits ihr Großvater zumindest zu lokalem Ruhm kam. Unter dem Namen The Great Toddini war dieser nicht nur als Entfesselungskünstler bekannt. Auch eine Begegnung mit einem UFO soll dem Ahnen mit dem übersinnlichen Draht seinerzeit Schlagzeilen eingebracht haben. Die Wahrheit, sie ist irgendwo da draußen.

Elektronischer Future Soul

Die aus Toronto gebürtige Musikerin und Künstlerin Maylee Todd rangierte mit ihrer teils klassisch, teil schrullig gedeuteten Mischung aus Soul, R&B und Disco mit Einflüssen aus Bossa Nova und Jazz ursprünglich unter ferner liefen. Nur in einem kleinen gallischen Dorf namens Japan wurden - vor allem zur Verwunderung der Künstlerin selbst - zwei frühe Top-10-Hits verbucht. Wunder der digital vorangetriebenen Globalisierung: Zu Hause noch mit zusätzlichen Brotjobs beschäftigt, dürfte die Erfahrung von ungeahnter Berühmtheit mit Begleiterscheinungen wie Autogramm- und Selfie-Wünschen bei einer entsprechenden Dienstreise doch ein wenig seltsam gewesen sein.

Nach dem Debüt "Choose Your Own Adventure" (2010) und dem an die Kunst ihres Opas erinnernden "Escapology" (2013) bedeutete im Jahr 2017 schließlich das Album "Acts Of Love" einen großen Schritt vorwärts. Mit nun elektronisch grundierten Songs wie "Afanyala" positionierte sich Maylee Todd unüberhörbar als Versprechen eines artifiziell aufgeladenen Future Soul, dem die Nische allerdings weiterhin näher war als der Weg in die Breite. Immerhin wurde das Album im Bereich der Konzeptkunst unter dem Titel "Virtual Womb" mit einer Installation präsentiert, in die das Publikum durch einen vaginaförmigen Eingang gelangte.

Mit dem nun vorliegenden und von der US-Kritik bereits gefeierten Nachfolger "Maloo" treibt die Sängerin und Multiinstrumentalistin ihren Konzeptpop jetzt aber auf die Spitze. Ihr aus einem Job für ein Virtual-Reality-Unternehmen hervorgegangener und unter Zuhilfenahme von Body-Scans und 3-D-Modellierung entstandener Avatar namens Maloo entführt dabei auch mit begleitendenden Musikvideos in das Reich des Transhumanismus. Dazu setzt es eine konsequenterweise vor allem auf dem Sequencer-ähnlichen Yamaha Tenori-on entworfene Version von Soul und R&B, die zwischen kühlen und kühnen Kometenmelodien und dem "Operator with the pocket calculator" auch die visionäre Vorarbeit der Mensch-Maschinen von Kraftwerk mitdenkt.

War im Rahmen ihres "Virtual Womb"-Projekts noch der (menschliche) Mutterleib der sogenannte Safe Space, wird dieser nun ausgerechnet durch das Metaverse verkörpert. Der bereits 1992 durch Neal Stephensons Science-Fiction-Roman "Snow Crash" eingeführte Terminus mag als Mark Zuckerbergs Vision einer Social-Media-Zukunft, die längst begonnen hat, zwar unter uns Ottonormalverbrauchern für Angst und Schrecken sorgen. Bei Maylee Todd hingegen verheißt er einen digitalen Garten Eden.

Inwiefern die Musikerin ihre Hoffnungen hier an der Realität orientiert oder auf eine davon losgelöste Traumwelt setzt, bleibt unklar. Jedenfalls präsentiert sich das lyrische Ich des Albums zu verträumt-sphärischen Klängen als unser Freund - sowie als Avatar, der Gefühle hat. Im Falle des wippenden und kippenden Schlafzimmer-R&B des Songs "No Other" etwa hört man das Liebesbekenntnis einer KI, die aus gewissen Bedürfnissen heraus sogar empfiehlt, doch einmal das Handy aus der Hand zu legen und das Licht abzudrehen. Geht doch!

Nicht von ungefähr bezeichnet die Künstlerin ihre Songs als "Sci-Fi-Lullabies", auch wenn sich deren Akteure schon einmal Gedanken über ihre Programmierung machen und das Sein als solches reflektieren: "Friend, I think I can’t extend / This version of myself has got to end" - und: "I got my own philosophy / Questioning ontology". Wobei man nicht zuletzt an John Carpenter und dessen Film "Dark Star" von 1974 denken darf, in dem eine Bombe im philosophischen Zwiegespräch davon überzeugt werden soll, besser doch nicht zu detonieren.

Zart und verlockend blubbert in diesem "Age Of Energy" die Elektronik. Federnde Synthetikbässe plingen und plongen durch die Atmosphäre, sanfte Stoßseufzer fahren himmelwärts. Die echte Welt brennt, doch Maylee Todd hat ihr eigenes Universum.