Mit dieser Band schwang sich der zumindest in seiner Nische massentaugliche Alternative Rock noch einmal zum Höhenflug auf. Bei Placebo um Sänger Brian Molko, den bleichgesichtigen Mann mit der markanten Stimme, bedeutete dieser Höhenflug aber immer auch den einen oder anderen Absturz - sowie den anhaltenden Zustand des Downs: Ausgehend von Songs wie "Teenage Angst" vom selbstbetitelten Debütalbum aus dem Jahr 1996 ging es in den Texten der als Trio mit österreichischem Schlagzeuger gestarteten Unternehmung bevorzugt um innere Krisen im Zeichen jener Entfremdung und Fremdheit, die popkulturell nicht erst seit dem Alien David Bowie mit dem Begriff der "Alienation" treffend umschrieben ist.

"A friend in need’s a friend indeed / A friend with weed is better": Zusätzlich befeuert vom in zahlreichen Songs dokumentierten Abusus so ziemlich aller durch den Gesetzgeber verbotenen Substanzen ("Special K") oder einer Abneigung gegen bürgerliche Biografien mit Hang zur Erwerbsarbeit ("Slave To The Wage"), fühlten sich Placebo in ihrer selbstzugeschriebenen Außenseiterrolle vielleicht nicht pudelwohl im traditionellen Sinn, lebten und verbreiteten mit ihrer Musik aber auf jeden Fall wunschloses Unglück.

Schwarzer Nagellack

Mit "Without You I’m Nothing" und dessen Titelstück, aufgenommen auch in einer Version mit David Bowie als Mentor, gelang der nach einem Scheinmedikament benannten Band 1998 der Durchbruch.

Nicht nur überzeugten Placebo darauf mit zum Gitarrenbrett neigenden Generationshymnen wie "Every You Every Me", sie bewiesen mit stillen, zärtlichen Stücken wie "My Sweet Prince" auch im Balladenbereich Songwriterqualitäten.

Für eine Band ihres Zuschnitts untypisch, beriefen sich Placebo bei alledem außer auf naheliegende Idole aus dem gitarrenbasierten Entfremdungsfach auch auf in britischen Stromrockkreisen traditionell kritisch beäugte Kollegen wie Depeche Mode. Brian Molko als genderfluid-androgyne Erscheinung mit schwarzem Nagellack tat ein Übriges, sich dabei gegen heteronormative Britpop-Acts oder das machistische Rock-Rap- oder Nu-Metal-Crossover von Bands wie Limp Bizkit zu positionieren.

In wechselnden Line-ups und mit zarten Parameterverschiebungen in Richtung mehr Elektronik folgten im Dreijahrestakt veröffentlichte Arbeiten wie "Black Market Music", "Sleeping With Ghosts", das programmatische "Meds" oder "Battle For The Sun" mit seinem Kampf um: mehr Licht! Nach "Loud Like Love" von 2013 und seinem mittlerweile erwachsenen Beitrag zum Thema Suchtprobleme und Abhängigkeit, Brian Molkos berührender Ballade "Bosco", war es mit neuem Material aber vorläufig vorbei. Placebo beschränkten sich auf die Verwaltung des bisher Erreichten und ließen sich als gut gebuchter Live-Act feiern.

Neun Jahre nach ihrem bisher letzten Album und den Ausbruch einer Pandemie später ist die Band jetzt wieder da - geschrumpft auf ein von Gründungsmitglied Stefan Olsdal am Bass komplettiertes Duo.

Brian Molko wird heuer 50 und scheint optisch in Richtung Dave Gahan anno 1993 in einer Mischung mit Johnny Depp in "Der Fluch der Karibik" zu gehen. Und er inspiriert sich mittlerweile mit Yoga-Einheiten für neue Songs, die wie "Went Missing" vom jetzt vorliegenden und nach dem gleichnamigen dystopischen Science-Fiction-Roman von Kazuo Ishiguro betitelten Comeback-Album "Never Let Me Go" auch einmal meditativer ausfallen dürfen.

Die übrigen, im Tempo vielleicht vorsichtig abgebremsten, aber ansonsten immer noch kräftig geschrammelten und mitunter auch bombastisch produzierten Stücke handeln zwar auch heute noch gerne von inneren Krisen - "This Is What You Wanted" etwa erinnert an einen hübschen Titel aus dem eigenen Werkkatalog: "Protect Me From What I Want." Und im Song "Hugz" fällt der ohnehin grandiose und nach wie vor von einer gewissen "Alienation" gekennzeichnete Satz "A hug is just another way of hiding your face", nachdem bereits zum Auftakt mit "Forever Chemicals" süßer alter Nihilismus im Zeichen der Betäubung regierte: "It’s all good / When nothing matters / It’s all good / When no one cares / It’s all good / When I feel nothing / It’s all good / When I’m not there."

Weil Zeit und Welt mit zunehmenden Jahren nicht spurlos an einem vorbeigehen, erlebt man Brian Molko heute aber auch bei der Beschäftigung mit äußeren Umständen. Neben Songs über den Tod wie "Happy Birthday In The Sky" oder dem streicherbasierten "The Prodigal" geht es bei "Try Better Next Time", "Chemtrails" oder "Surrounded By Spies" um die Themen Klimawandel, Brexit und Überwachung - sowie Hass im Internet.

Für das an Depeche Modes "Jezebel" angelehnte Abschlussstück muss man Placebo ohnehin lieben. Als Anti-These zu einem Rührstück aus dem Hause Coldplay angelegt, richtet sich Brian Molko mit einem weiteren sehr schönen Satz hier auch an allfällige Social-Media-Moralisten und andere Dauerprediger aus dem World Wide Web: "Go fix yourself / Instead of someone else."