Seit dem Siegeszug von Wanda und Bilderbuch als wesentliche Pop-Aushängeschilder und Exportschlager des Landes scheint so etwas wie ein Wettlauf stattzufinden, wer das Wort "Baby" öfter in seinen Songtexten unterbringt. Ganz abgesehen davon, dass Wanda sehr gerne auch "Schatzi" sagen: Derzeit haben Bilderbuch die Nase klar vorn.
Wenn Sänger Maurice Ernst es sich auf dem nun erscheinenden neuen Album seiner 2005 in den sehr katholischen oberösterreichischen Stiftsorten Kremsmünster und Schlierbach gegründeten Band mit dem auf den Lockruf der Natur ("Ein Bett im Kornfeld", wir erinnern uns!) verweisenden Titel "Gelb ist das Feld" also gerade nicht unbedingt katholisch im Schoß eines "Girls" bequem macht, passiert eines: "Baby" wird im Rahmen der 14 neuen Songs insgesamt 31 Mal bekniet, bezirzt oder sonstwie angebetet. Das ist dann schon beinahe wieder katholisch, man nennt es allerdings eher süßholzraspeln, flirten, hineinbraten - sowie bei Maurice Ernst immer auch, auf gut Wienerisch gesagt, "einedrahn".
Bussi, Baby! Es gibt Schmalz. Hören wir uns das neue Album von Wanda also gleich einmal an. Pardon, selbstverständlich ist das neue Album von Bilderbuch gemeint: "Ich nehm mir Zeit, nehm mir Zeit für mein Baby / Und mein Baby nimmt sich natürlich Zeit für mich." "Oh Baby, dass du es weißt / Ich nehme deinen Schweiß ..." "Du und ich nackt / Im Nahuel Huapi / Schon sehr kalt / Baby, I can tell / Sterne über uns / Machen uns so happy / Nur du und ich und der / Rest der Welt."
Immer ist irgendetwas mit diesem "Baby"! Manchmal auch ein ziemliches Gschiss ("Du gehst deinen Weg / Und ich geh heim / Maybe baby thats life"), meistens aber sehr sexy. Love making im private jet. Schnackseln in der freien Natur. Im Song "Ab und auf" etwa (Immer wieder auf und nieder . . .) hört man Maurice Ernst dabei, wie er den gar nicht so gehobenen Blödsinn seiner Songtexte auf keine neue Ebene bringt. "Papa sagte / Sohn, Leben ist ein Roller Coaster / Ab und auf / Jetzt sitzt sie auf meinem Schoß / Und meine Welt geht / Ab und auf / Und ab und auf."
Im Hintergrund wird gebellt, Maurice Ernst ist im an Prince in seiner Leibrolle als Sexy Motherfucker erinnernden Spitz-wie-Nachbars-Lumpi-Falsett ... ja, spitz wie Nachbars Lumpi halt. Bilderbuch waren zuletzt im Vorprogramm ihres Musikerkollegen Roosevelt auf USA-Tour unterwegs - und Sex ist die Sprache der Liebe, die man weltweit versteht. Was wiederum mit gewohnt zwischen Dada und Denglisch auf Autopilot geschriebenen Songs wie "Bergauf" zum Ausdruck gebracht werden soll, weiß ohnehin nur Maurice Ernst selbst. "Alles wie es sein soll / Weil alles ist / Nichts ist falsch / Und alles ist wahr / Lalalala / Liebe ist just fiction / Nur Fantasie / We must believe / Weiße Pferde / In einem Feld / Wir steigen auf / Space Shuttle landen / Auf deinem ass / Ich verteidige dich / Gegen Internet."
Bilderbuch haben ihre Wurzeln im handelsüblichen Indierock der Alben "Nelken & Schillinge" von 2009 und "Die Pest im Piemont" von 2011 bekanntlich mit ihrem Überhit "Maschin" im Oktober 2013 hinter sich gelassen, um sich mit "Schick Schock" (2015) und "Magic Life" (2017) neu zu erfinden. Es ging um ein Bekenntnis zum großen Pop der großen Show, erweitert und aufgebrochen um diverse spielerisch eingestreute Versatzstücke aus dem Hip-Hop- und Autotune-Milieu auf den bisher letzten Arbeiten "Mea Culpa" (2018) und "Vernissage My Heart" (2019).

"Gelb ist das Feld" markiert nun gleich ein paar Schritte rückwärts. Immerhin setzt das von Michael Krammer an der Gitarre, Peter Horazdovsky am Bass und Schlagzeuger Philipp Scheibl komplettierte Quartett jetzt wieder auf einen konventionelleren, gitarrenbasierten Bandsound, der sich wie die nicht mehr länger gachblonde Frisur von Maurice Ernst eher im Alternative Rock der 1990er Jahre verortet - und sich einen weichgezeichneten, immer leicht verschwommenen, laschen und letscherten Anstrich verleiht. Wobei es mit mitunter spirituellerem Unterton, Handclaps aus dem Hippie-Sitzkreis oder dem sanften Jangle-Sound aus dem Hause The Smiths bei Stücken wie "For Rent" popgeschichtlich auch noch weiter zurückgeht.
Von den super-cheesy gehaltenen und für sich genommen schwer verdaulichen Softrock-Elementen des Albums einmal ganz abgesehen, gehen der Band im Verlauf der ziemlich länglichen 59 Spielminuten aber leider recht bald die Songs und die Luft aus. Es zieht sich. Nicht so gute Ideen werden nicht besser, wenn man sie sehr oft wiederholt.
Die anstehende Tour mit Stationen wie etwa der Hamburger Elbphilharmonie und einem Triple (!) auf dem Open-Air-Areal der Wiener Arena ist übrigens so gut wie ausverkauft, "Gelb ist das Feld" aber definitiv nicht der Grund dafür.