Zunächst ist eine Beichte fällig:Father John Mistys bisher letztes Album, "Gods Favorite Customer", ist vor rund vier Jahren an dieser Stelle kriminell unterbewertet worden. Wie sich in der Langzeitperspektive zeigte, war es eine Art vorweggenommenes und auf seine Weise zwingendes Lockdown-Album - nur dass die ihm vorangegangene Quarantäne nicht einer Pandemie, sondern einer Ehekrise geschuldet war: Weil das häusliche Zusammenleben mit seiner Frau Emma, der er 2015 auf seinem Durchbruchsalbum "I Love You, Honeybear" intensiv gehuldigt hatte, nicht mehr rund lief, bezog Joshua Tillman, wie der nebulose "Vater Hans" mit bürgerlichem Namen heißt, für mehrere Monate ein Hotelzimmer.
40er und 50er Jahre
Den sarkastischen An- und Einsichten, die der ursprünglich aus dem Osten der USA stammende, streng religiös erzogene Wahlkalifornier in der selbstauferlegten Isolation gewann, entsprangen vergleichsweise schmucklose, ernüchtert anmutende Arrangements, die fast schockartig zu dem opulenten Überschwang kontrastierten, der seine im Folk geerdete, durch Country und Spurenelemente von Kammer-Pop erweiterte Musik auf "I Love You, Honeybear" und "Pure Comedy" (2017) so anheimelnd aufgepeppt hatte.
"Chloë And The Next 20th Century" (Bella Union), das mittlerweile fünfte Album, das Tillman nach etlichen Singer-Songwriter-Platten unter eigenem Namen als Father John Misty veröffentlicht, kommt demgegenüber wieder mit Pomp und Gloria. Aber der Charakter der Orchestrierung ist unterschiedlich zu den Alben der Jahre 2015 und 2017, auf denen sie hauptsächlich dazu diente, die Dramaturgie einzelner Songs zu akzentuieren. Auf den neuen Stücken verweisen Swing- und Vintage-Jazz-Arrangements leitmotivisch zurück in die 40er und 50er Jahre, was wiederum mit dem 20. Jahrhundert im LP-Titel korrespondiert. Will damit suggeriert werden, dass das 20. Jahrhundert mit all seinen Errungenschaften und Schrecknissen wiederkehren wird?
Chloë, die Trägerin des ersten Titel-Teils, gibt diesbezüglich keinen Aufschluss, denn sie taucht nur im Opener auf, der ihren Namen trägt: eine Salonsozialistin, der Gerüchte um den Tod ihres Freundes nacheilen und die am Ende (des Songs) von einem Balkon springt - und damit, jedenfalls nominell, aus den Szenarien verschwindet. In deren Mittelpunkt stellt sich nun ein windiger männlicher Charakter, der Frauen nachstellt, sich dabei aber - da regt sich dann leise Sympathie - öfters in schwierigen Situationen findet: In der wunderschönen, ein wenig an Fred Neils Soundtrack-Klassiker "Everybodys Talkin" erinnernden Ballade "Goodbye Mr. Blue" rekapituliert er die traurige Geschichte eines Angora-Katers, der bis zu seinem Tod eine zerbrechende Beziehung kittete. Der etwas unheimliche, großartige Abschluss-Song "The Next 20th Century" schließt mit der Alternative "Ill take the love songs / and give you the future in exchange" - offen lassend, ob das als Verheißung oder Drohung zu verstehen ist.
Keine Kinkerlitzchen
Songschreiber Joey Burns und Schlagzeuger John Convertino wiederum haben ein eigenes Sub-Genre geschaffen, nachdem sie sich vor mehr als einem Vierteljahrhundert von der legendären Wüstenrock-Band Giant Sand abgespalten und als Calexico Rock, Jazz und die Musik der mittlerweile teilvermauerten Grenzregion zwischen den USA und Mexico mit mittel- und südamerikanischen Musikstilen verbunden haben. Obwohl diese Musik allein wegen ihrer stilistischen Vielfalt langfristig belastbar ist, haben Burns und Convertino zwischendurch immer wieder auch andere Wege gesucht - auf der letzten "regulären" LP, "The Thread That Keeps Us" von 2018, der 2020 noch eine wunderschöne Weihnachtsplatte mit dem Titel "Seasonal Shift" gefolgt ist, ging dieser, genötigt durch die Misere der Trump-Jahre, in Richtung eines ziemlich heftigen Indie-Rock.
Demgemäß müssen sich Calexico auf ihrem zehnten Album keinen Zwang antun: "El Mirador" (City Slang) ist ein frenetisches Fest der musikalischen Grenzüberschreitungen, dessen Urtümlichkeit durch keinerlei "experimentelle" Kinkerlitzchen gestört wird.
Überall und unter allen Umständen wird getanzt: Im Regenschlamm, in der Wüste, mit der Knarre in der Hand. Dass es auch zu Handgreiflichkeiten kommen und der Kater nach der Fiesta schwer sein kann, liegt buchstäblich in der Natur der Sache. Live im MQ Wien (Halle E) am 30.4.