Das Albumcover in Form einer Arzneimittelverpackung verspricht nichts weniger als eine 44-minütige Dauermedikamentation, die die Musik natürlich auch einhält. Sie bügelt die Hörerschaft förmlich nieder wie ein Pulverl aus der Gruppe der bei einem Ausflug in das Reich der Existenzphilosophie nun auch in den Songtexten wieder beschworenen Benzodiazepine: "Ive been there and Ive been back again / Gonna dull it with lorazepam / Kindve had it with philosophy / Cos Im thinking I am but Im failing to be ..."
Jason Pierce kennt sich da aus. Der Mann hat mit seiner ersten aus jungen britischen Selbstgefährdern mit Hang zum Substanzabusus bestehenden Band Spacemen 3 einst ein Album mit dem bereits erheblich nach narrischen Schwammerln klingenden Titel "Taking Drugs To Make Music To Take Drugs To" aufgenommen. Das von Pierce heute auch unter seinem Alias J. Spaceman grundsätzlich solo, mitunter aber gemeinsam mit sehr, sehr vielen Mithelfern betriebene Nachfolgeprojekt Spiritualized knüpft nicht nur vom Namen her an die Vorarbeit von seinerzeit an.
Mit Pauken und Trompeten
Nach der Auflösung von Spacemen 3 im Jahr 1991 und spätestens seit dem sechs Jahre darauf erschienenen Spiritualized-Meisterwerk "Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space" vereint seine Musik jenen Geist, der manchmal auch aus der Flasche steigt, im Rahmen verstrahlter kosmischer Spacerockreisen schließlich mit im Spiritual wurzelndem Gospel auf der Suche nach Erlösung. Dieser Weg wird kein leichter sein - und er führt am Ende zweifellos in den Untergang. Die nicht selten feierlich und jubilierend gehaltene und auf Pauken und Trompeten setzende Musik allerdings kommt als stürmische Himmelfahrt und Song gewordenes Hochgefühl daher.

Gleich zum Auftakt des neuen und mittlerweile neunten Spiritualized-Albums mit dem gut zur Zeit passenden, da als Abgesang auf die mehr als nur fragile Schönheit unseres Heimatplaneten lesbaren Titel "Everything Was Beautiful" gelingt Jason Pierce diese Übung einmal mehr mit Grandezza. Zweifelsohne kann man die Englein im Eröffnungssong "Always Together With You" bereits singen hören. Im Musikvideo dazu stürzt zwar die Welt ins Chaos. Nach erfolgtem Raketenstart zum Zweck der Weltflucht in den Orbit aus der Vogelperspektive betrachtet, würde man der hübschen blauen Kugel den auf ihr umgehenden Hass, die Niedertracht und den Wahnsinn allerdings niemals zutrauen.
Jason Pierce alias J. Spaceman, der auf dem Album nicht nur mit Songtiteln wie "Let It Bleed" wieder diverse popkulturelle Referenzpunkte herbeizitiert, paraphrasiert dazu Leonard Cohens "Im Your Man" (so lautete übrigens auch die erste Single seines bisher letzten Albums "And Nothing Hurt" von 2018): "If you want a rocket ship, I would be a rocket ship for you / If you walk the galaxies, I would walk the galaxies with you ..." Und er überführt den ursprünglich gut hinter schwarzen Sonnenbrillen versteckten Song in Glanz und Gloria der Phil Spectorschen Wall-of-Sound-Technik schließlich in höchste Höhen. Mit seinen heute 56 Jahren hat der Mann nicht zuletzt auch den Aufstieg David Bowies zum Alien-Star Ziggy Stardust merkbar aus der Perspektive des staunenden Kindes erlebt.
Alter Größenwahn
Das Album mag zwar nur sieben Songs beinhalten, musikalisch aber kehrt Pierce wieder zum guten alten Größenwahn nach dem Arbeitsmotto "Klotzen statt kleckern" zurück. "Everything Was Beautiful" wurde mit 30 Musikern inklusive Sängerinnen und Sängern in elf verschiedenen Studios aufgenommen, womit künstlerische Wahnsinnstaten wie das im Jahr 2001 veröffentlichte Album "Let It Come Down" mit seinen 115 Session-Musikern quantitativ selbstverständlich immer noch unerreicht bleiben.
Natürlich kann man das Ergebnis auch als eine Predigt zu Bekehrten bezeichnen, die auf bewährte Zutaten setzt. Allerdings zeigt sich Jason Pierce zwischen dem Velvet-Underground-Wiedergang "Best Thing You Never Had" samt Bläserspitzen mit Stoßrichtung New Orleans, dem anfangs als Lamour-Hatscher angerichteten "Let It Bleed" oder dem gemeinsam mit der US-Countrysängerin Nikki Lane gegebenen Duett "Crazy" in bestechender Form.
Mit "Everything Was Beautiful" ist ihm ein abwechslungsreiches Album gelungen, das sich mit der heiteren Zugfahrt von "Mainline" und "The A Song (Laid In Your Arms") als Meditation über die Endlichkeit auch noch Krautrock-Beigaben genehmigt. Am Ende mit dem tatsächlich sämtliche Geschütze auffahrenden "Im Coming Home Again" ist die Erlösung dann ohnehin zum Greifen nahe.