"I remember a past / that told us of a future." Ein bisschen Wehmut schwingt natürlich mit, wenn sich Marc Almond auf dem Comebackalbum seiner jetzt wiederbelebten alten Band Soft Cell im Angesicht der Gegenwart an die Vergangenheit erinnert.

Immerhin war der heute 64-jährige Sänger gemeinsam mit seinem die Maschinen bedienenden Kollegen David Ball in einer Zeit an der Speerspitze des Synthie-Pop aktiv, als nicht nur die musikalische Zukunft noch ausformuliert werden konnte. Allerdings wird heute im Blick zurück keineswegs nur auf Verklärung gesetzt. Schließlich geht mit der rezenten Rückkehr über lange Zeit verstummter musikalischer Helden von seinerzeit - wie erst vor wenigen Wochen auch der Landsleute Tears For Fears mit ihrem gelungenen ersten Album seit 18 Jahren, "The Tipping Point" - auch die damals in den goldenen Jahren der Popmusik artikulierte Angst vor einem Atomkrieg einher.

Keine Versprechungen

Das desillusioniert betitelte neue Soft-Cell-Album "*Happiness Not Included" beinhaltet eine Reihe an desillusioniert gefärbten Texten und Songs über enttäuschte Hoffnungen, patscherte Leben, alte, jetzt wieder aufgebrochene Wunden und eine Zukunft, die keine Versprechungen mehr bereithält: "The future has a scary face / A country where I have no place."

Und es sorgt bereits mit seinem Cover für reichlich Beklemmung. Wir sehen einen verlassenen Vergnügungspark aus der Sperrzone rund um das AKW Tschernobyl, die uns heute nicht mehr "nur" als ein Mahnmal im Nirgendwo, sondern als gegenwärtiger Kriegsschauplatz erscheint. Eine gute Prise Zynismus ist also wahrscheinlich auch mit dabei, wenn Marc Almond neuen Songs Titel wie "Heart Like Chernobyl" verleiht, um darin etwa über die Abgebrühtheit im Umgang mit der Nachrichtenlage, sprich auch über die eigene innere Vergletscherung zu singen: "Oh dear, I feel like North Korea in the winter ..."

Gipfeltreffen mit Bekannten

Soft Cell wurden im Jahr 1981 mit ihrem immergrünen Hit "Tainted Love" weltberühmt, der als guter Geist von seinerzeit über die einschlägige Szene der 1980er-Jahre-Apostel hinaus noch heute umgeht. Die Coverversion eines zwei Jahrzehnte zuvor gefloppten Songs der US-Sängerin Gloria Jones war der zugkräftige Ausreißer eines Albums, das mit Stücken wie dem später auch von den Nine Inch Nails gecoverten "Sex Dwarf" oder "Seedy Films" über lange Nächte in ranzigen Pornokinos entschieden zu zwie- und rotlichtig ausfiel, um die breite Masse auch dauerhaft zu erreichen. Popkulturell gilt "Non-Stop Erotic Cabaret" neben den gleichfalls 1981 erschienenen Alben "Dare" von The Human League sowie "Speak & Spell" von Depeche Mode dafür als unumstrittener Synthie-Pop-Klassiker nicht nur seines Jahrgangs.

Nach dem prophetisch betitelten Nachfolger "The Art Of Falling Apart" sowie dem einmal mehr nicht jugendfrei angelegten dritten Streich "This Last Night In Sodom" war für Soft Cell bereits im Jahr 1984 vorerst wieder Schluss. Marc Almond flüchtete sich in eine flamboyante Solokarriere, die 2002 von einem temporären Soft-Cell-Comeback und 2004 einem schweren Motorradunfall unterbrochen wurde, der ihm beinahe das Leben gekostet hätte.

Über die Hintergründe der jüngsten Bandreunion kann aktuell nur gerätselt werden. Zum Auftakt jedenfalls ging die Wiederkehr als Gipfeltreffen unter alten Bekannten über die Bühne. Die Vorabsingle "Purple Zone" wurde in einer gemeinsamen Version mit den Pet Shop Boys veröffentlicht (die am Donnerstag, 12. Mai übrigens den Wiener Gasometer bespielen). Wir hören einen Elektropopschlager mit nostalgischer Note und sehen Neil Tennant und Marc Almond im dazugehörigen Musikvideo als Barkeeper und Eisverkäufer beim Sinnieren über enttäuschte Hoffnungen und patscherte Leben: "Let’s get out of this life, I’m afraid and alone ..."

Marc Almonds Stimme ist in der Zwischenzeit nicht merkbar gealtert. Und auch die Musik bietet trotz neuer Produktionstechniken ein retroseliges Gefühl des Nachhausekommens ohne Unnötigkeiten wie Zugeständnisse an den Zeitgeist. Zu pluckerndern und tuckernden Beats aus heute durch Software simulierten Drummachines von gestern sowie zwischen Synthie-Arpeggios und einprägsamen Dreifingermelodien gelingen der Band dabei auch wieder hübsche Songs.

Nach dem zwischen Autobiografie und Autofiktion angesiedelten "Polaroid" über Begegnungen mit Andy Warhol und einen Besuch in dessen Factory im New York der frühen 1980er Jahre sowie nach nächtlichen Ausflügen im Zeichen gefährlicher "Nighthawks" und einer "Nostalgia Machine", die hörbar in der Disco angeworfen wird, ist diesbezüglich vor allem auf die Balladen zu verweisen.

Neben dem sanft-schwülstigen "Light Sleepers" und dem gleitenden "New Eden" zum Abschluss kredenzt die Band mit "I’m Not A Friend Of God" so etwas wie die elektronische Variante einer Phil-Spector-Ballade, die sich auch inhaltlich gewaschen hat, während sie ihr tragödisches Heil bei "Tranquiliser" in der Selbstbetäubung sucht - und stilistisch im Jagdgrund des jungen Scott Walker wildert. Dabei geht Marc Almond auch in seiner Rolle als Drama-Queen wieder voll auf.