Es mag bisweilen etwas stumpfsinnig anmuten, marktschreierisch anzupreisen, dass man auch in Österreich großen Pop kann - denn warum sollte diese Kunstfertigkeit von geographischen Längen- und Breitengraden abhängen? Auf die Exzellenz, mit der sie exerziert wird, sollte aber bei gegebenem Anlass doch hingewiesen werden dürfen.

Jede Platte von Rene Mühlberger ist so ein Anlass. Mit seiner heute bereits legendären Band Velojet hat der Sänger, Songschreiber und Gitarrist vier formidable Alben produziert. Nachdem die Formation irgendwann in den frühen bis mittleren Zehner Jahren still und unauffällig ihre Aktivitäten beigelegt hatte, formierte Mühlberger, der auch Schlagzeug beim Trojanischen Pferd spielt, gemeinsam mit seiner Velojet- und Lebenspartnerin Marlene Lacherstorfer Pressyes.

Eine richtige (fünfköpfige) Band sind Pressyes allerdings nur bei Live-Auftritten. Plattenaufnahmen schupft Mühlberger großteils alleine - seine Gefährtin Lacherstorfer, eine besonders im Umkreis von Ernst Molden vielgefragte Bassistin und Auftragskomponistin, wirkt mehr in logistischer Mission, indem sie etwa mit Mühlberger die analogen, auf Vintage gestylten Videos zu den Songs dreht. Diese Videos haben einige wiederkehrende Merkmale: helle Farben, Sonne, meist maritimes Ambiente. Die bildliche Auflösung des aktuellen Videos "Years" wiederum verweist auf bevorstehenden personellen Zuwachs in Mühlbergers und Lacherstorfers Partnerschaft...

Von der schattenhaften Melancholie, die einst das Stimmungsbild bei Velojet bestimmt hat, ist bei Pressyes nur mehr wenig übrig geblieben. Vielmehr weckt die sonore, stark an Tame Impalas Kevin Parker erinnernde Sehnsuchtsstimme Mühlbergers über schwebenden Synthies Urlaubsstimmung und Fernweh. Und tatsächlich ist das Unterwegssein eine prägende Konstante bei Pressyes. Sicherheitshalber führt Mühlberger in seinem VW-Bus auch studiotaugliches Equipment mit sich. Es kann aber auch einfach der Klang eines Instruments sein, der in ihm Erinnerungen an Reisen wachruft, die wiederum Songs inspirieren.

"Breeze In Breeze Out" (Assim Records), der raffinierte Titel des neuen, zweiten Pressyes-Albums, der unter ironischer Anspielung auf nicht ganz so elegante Aussprache-Gepflogenheiten natürlich auch das Wort "breathe" paraphrasiert, verweist schon verbal auf ein Urlaubsmotiv, nämlich die meist buchstäblich heiß ersehnte Brise. "Mirissa" heißt der nach einem beliebten Strandort in Sri Lanka benannte Opener der Platte. Das war auf der Pressyes-Debüt-LP "On The Run" noch der Arbeitstitel jenes Songs, der in frivoler Hervorhebung seiner frappanten Ähnlichkeit mit Albert Hammonds "It Never Rains in Southern California" schließlich "California" betitelt wurde. Getragen von einer Gitarre und befreit von aller Gedankenschwere weht der "Atlantic Ocean Spray"; "We Are Shadows" würde sich, mit seinem "exotischem" Leitmotiv gerade noch so eben am Abgrund der Geschmacklosigkeit vorbeiproduziert, glatt als Werbejingle für eine Südsee-Destination eignen.

Zu Großem befähigt

Die Eleganz und Souveränität, mit der René Mühlberger Träume vom Wegdriften vertont, zeigt das Wien-Berliner Quintett Vague wiederum in der Kunst, formstrengen Pop-Rock zu machen, der exem-plarisch vorführen zu wollen scheint, was an New Wave gut war. Ohne ein Gramm Fett mit sich zu schleppen, hat diese Musik einen breiten Aktionsradius, der sie in die Nähe von The Cure, der kühl-melancholischen, heute vergessenen Comsat Angels oder auch späterer Weltuntergangsästheten wie The XX bringt. "Out Soon" (Siluh Records) ist das bereits dritte Album von Vague - und es ist das dramaturgisch schlüssigste, obwohl es mit zwei deutschsprachigen unter 15 Songs eine vermeintliche formale Schwelle eingebaut hat.

Cover des neuen Vague-Albums.

Cover des neuen Vague-Albums.

Gerade an diesen zwei Songs aber, die interessanterweise beide einen leisen Funk-Einschlag aufweisen, zeigt sich, dass im Pop Sprache einerseits nicht alles ist und andererseits auch etwas anderes als Sinnträger sein kann: Zeilen wie "Am Ende der Straße / Elektrische Tage / den Kopf in den Wolken / die Liebe im Magen" nehmen sich gedruckt gewiss nicht imposant aus. In Verbindung mit der Musik aber klingen sie stimmig und vermitteln eine Art zuversichtlicher Anspannung - als würde diese Band wissen oder wenigstens ahnen, dass sie zu Großem befähigt ist.