Seit Velvet Underground verfolgt die Rock-Musik den Traum von der gleichberechtigten Koexistenz von Schönheit und Krach. Meist versucht sie das in Form eines Neben- und Gegeneinanders: Ein "Sunday Morning" für eine "Sister Ray" sozusagen.

Low gehen den nicht alltäglichen Schritt weiter, die antagonistischen Teile simultan zu verschmelzen. Auf ihrer aktuellen, begeistert akklamierten LP "Hey What" von 2021 gehen sie bei der Wahl der Stilmittel noch signifikant über Distortion-Gitarren hinaus und fahren mit Störgeräuschen und vermeintlichen Tonausfällen auf, die im ersten Reflex unweigerlich fürchten lassen, das Abspielsystem habe den Geist aufgegeben, ehe schönster Mann-Frau-Engelsgesang alsgleich versichert, dass (zumindest mit dem Tonträger) eh alles in Ordnung ist. Live werden diese Kaputtnik-Effekte zugedröhnt mit Riffs und Drones, was aufs Erste fast ein wenig enttäuscht - aber der Schock ist durch die Vertrautheit mit dem Material sowieso schon dahin.

Fassungslosigkeit

Im vollen, diesmal erträglich temperierten WUK spielten Low das "Hey What"-Album fast zur Gänze durch. Hinter sich hatten sie auf der Bühne eine in drei "Fenster" unterteilte Videowall, auf der horizontale Leuchtkörper den Effekt von Jalousien erzeugten, die wiederum spaltenweise Blicke auf eine per Filmaufnahmen simulierte und zumeist nur vage zu dechiffrierende Außenwelt gewährten. Das passte einerseits recht gut zur inhaltlichen Richtung, die Low in den letzten Jahren eingeschlagen haben und grob vereinfacht mit der Fassungslosigkeit zu tun hat, was alles passiert und möglich ist, wo man doch dachte, es könne nicht mehr ärger kommen. Zum anderen verliehen die Lichtspiele den drei Bühnen-Akteuren - Sänger/Gitarrist Alan Sparhawk mit wallender friedhofsblonder Mähne und Slawenhaken, seine Frau Mimi Parker als stoische Instanz an Drums und Mikro und die neue Tour-Bassistin Liz Draper - aus größerer Entfernung betrachtet recht zackige Umrisse.

Geballte Langsamkeit

Low nehmen sich in jeder Hinsicht Zeit, ihre Musik ordentlich durchzuexerzieren. Die Stücke scheinen meist irgendwo aus der Ferne heranzurollen und verklingen wie beiläufig. Ihre geballte Langsamkeit hat etwas von der Gnadenlosigkeit eines Unwetters, das sich nicht verziehen will. Dabei werden sie aber mit konzentrierter Präzision ihren beträchtlichen Intensitätsverschiebungen gerecht: So beginnt "Walk Away" in fast kontemplativer Versenkung, ehe sich das charakteristische Gitarreninferno formiert. Und bei aller Ernsthaftigkeit und Hingabe lassen die drei aus Minnesota durchaus auch spüren, dass Krachmachen (buchstäblich) höllisch Spaß macht. Das fand man auch im begeisterten, altersmäßig gut durchmischten Publikum.

Als "Hey What" weitgehend durch war, kam auch die moderatere, stilistisch näher am Folk angesiedelte Anlage früherer Platten zum Vorschein: Mit dem suggestiven, von Parker solo intonierten "Congregation" etwa, oder dem bereits aus dem Jahr 2001 stammenden "Sunflowers", das der recht kommunikative Sparhawk allen Menschen widmete, "die leiden". Als Zugabe wurde schließlich noch einer dieser Weltklasse-Faserschmeichler dargeboten, derer das Repertoire von Low gar nicht so arm ist: "What Part of Me Don’t You Know?"