In Turin steuert beim 66. Eurovision Song Contest alles auf das große Finale am Samstag (14. Mai) zu: Die Musikshow schwankt dabei zwischen bunter Party, der Erleichterung, praktisch alle Coronabeschränkungen hinter sich gelassen zu haben und den Schatten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Nicht von ungefähr geht das ukrainische Kalush Orchestra als Topfavorit in die Endrunde. Die Grundfrage wird sein: Votet Europa für Solidarität oder musikalische Qualität?
Die Buchmacher sehen die ukrainische Band mit ihrer Mischung aus Folklore und Rap klar an der Spitze. Dabei betont der 27-jährige Frontmann Oleh Psiuk gegenüber österreichischen Medien klar, dass es sich bei "Stefania" um eine Hommage an seine Mutter, nicht um ein Kriegslied handle: "Das Lied wurde lange vor dem Kriegsausbruch geschrieben. Er beinhaltet kein Wort über den Krieg." Aber selbstredend lesen seit der russischen Invasion viele anderes in die Textzeilen hinein, wenn man etwa an die Passage denkt: "Ich werde immer einen Weg nach Hause finden, selbst wenn alle Straßen zerstört sind."
In jedem Falle ist das Ganze eine Gratwanderung, sind dezidiert politische Äußerungen auf der ESC-Bühne doch laut Regelwerk ausgeschlossen. Ausgeschlossen wurde heuer übrigens auch Russland ob des Krieges, der nun verständlicherweise große Solidarität unter den Song-Contest-Sehern für die Ukraine mobilisieren dürfte.
Chancen auch für Großbritannien und Schweden
Sollte das Pendel bei aller Qualität von "Stefania" hingegen eher in Richtung musikalischer Klasse ausschlagen, so werden vor allem dem britischen Vertreter Sam Ryder mit seiner zwischen Falsett und Reibeisen pendelnden Nummer "Space Man" und der schwedischen Sängerin Cornelia Jakobs mit dem berührend-authentischen "Hold Me Closer" die besten Chancen ausgerechnet. Ob Italien mit dem Duo Mahmood & Blanco, das heuer mit dem ersten offen schwulen ESC-Liebesduett "Brividi" antritt, den Sieg der Rockband Måneskin mit "Zitti e buoni" aus dem Vorjahr wiederholen kann, der den Event in die Industriemetropole Turin brachte, darf indes trotz guter Aussichten auf einen Platz unter den Top 5 bezweifelt werden.
Es bleibt also spannend, wie der Finalabend in der Veranstaltungshalle Pala Olimpico verlaufen wird, den sich österreichische ESC-Fans nach dem Ausscheiden von LUM!X feat. Pia Maria im Halbfinale nun ganz gelöst ab 21 Uhr auf ORF 1 mit Kommentar von Andy Knoll zu Gemüte führen können. Und möglicherweise bleibt es auch danach spannend.
Wo findet Song Contest 2023 statt?
Sollte nämlich tatsächlich die Ukraine das Rennen machen, stellt sich unmittelbar die Frage, wo der 67. Eurovision Song Contest abgehalten wird. Im Interview mit österreichischen Medien zeigte sich Kalush-Flötist Tymofii Muzychuk zuversichtlich: "Wenn wir gewinnen, bin ich sicher, dass wir den Song Contest 2023 in einer unabhängigen, glücklichen Ukraine feiern können." Ob das die European Broadcasting Union angesichts der völlig offenen Weltlage im kommenden Jahr auch so sehen wird, bleibt abzuwarten.