Tigran Hamasyan ist zu beneiden: Der Jazzpianist aus Armenien hat eine Handschrift entwickelt, die ihn über das Gros der virtuosen Kollegen hinaushebt. Armenische Zierfiguren, Schwebeharmonien zwischen Dur und Moll, dazu eine heftige, haarsträubende Polyrhythmik: Das ist in Summe so originell, dass man diesen Mann blind erkennt - binnen Sekunden.

Das Problem ist nur, dass sich Hamasyan in diesem Kosmos bereits seit Jugendjahren häuslich eingerichtet hat. So sehr seine folkloristischen Feinaromen, seine Improvisationslust (eher aus dem Geist des Jazz als mit dessen Mitteln) und die vertrackten Metren fesseln: Grosso modo unterschied sich ein Album des Armeniers in den zehn Vorjahren kaum von dessen Nachfolger, frischer Wind war nicht absehbar.

Nun bläst dieser aus einer unvermuteten Richtung in das Reich des Eklektikers: Für sein neues Album hat sich der Charakterkopf mit traditionellen Jazz-Standards befasst. Wobei: Es wäre nicht Hamasyan, würde er die ehernen Ohrwürmer des Genres branchenüblich zum Swingen bringen. "StandArt" (Nonesuch) präsentiert keine Interpretationen im landläufigen Sinn, sondern wagemutige Aneignungen, die Hamasyan am Montagabend nun auch im Wiener Konzerthaus vorstellte.

Der Versuch, die Vorlagen zu erkennen, erweist sich dabei als veritable Kopfnuss. "Softly As In A Morning Sunrise" etwa: Die Paradenummer diverser Jazzsessions lässt ihr Thema hier nur in einem sanften Mittelteil aufleuchten; rundum dominieren ziseliert-treibende Grooves, die allenfalls Spurenelemente des Motivs bergen. Ähnlich fern seiner Wurzel treibt "All The Things You Are" neue Blüten, während "I Should Care" kühn an der Kante zur Atonalität siedelt: Ballademinuten von herber Schönheit. Befeuert von Matthew Brewer (Bass) und Justin Brown (Schlagzeug) setzt es gegen Ende Charlie Parkers "Big Foot" mit harschen Hamasyan-Harmonien und einem furiosen Jazzsolo: Standing Ovations.