Rufus Wainwright hat’s nicht so mit Zurückhaltung. Zu Beginn seines Wien-Konzerts im Volkstheater schmetterte er gleich einmal seinen auch schon wieder über 20 Jahre alten Song "Grey Gardens" und zollte so nicht nur mit dem literarisch vorbelasteten "Tadzio", der hier besungen wird, der Spielstätte Theaterbühne so irgendwie Tribut, sondern betrieb auch Fan-Service. Das stand an diesem Abend mit vielen altbekannten Liedern ohnehin hoch im Kurs, allerdings wohl auch ein bisschen unabsichtlich. Denn angekündigt war das Konzert als Station der "Unfollow the Rules"-Tour - die freilich zwei Tage zuvor abgeschlossen wurde. Daher war Wainwright ohne seine Band an Klavier und Gitarre auf sich allein gestellt und das Konzert bekam insgesamt einen charmanten improvisierten Anstrich. Auch weil der Sänger gewinnend mit dem Phänomen des einmal zu oft gesungenen Lieds umging: Bei "Vibrate" vertat er sich mit den Strophen und ließ das Publikum mit viel Selbstironie auf der Suche nach der richtigen teilhaben. Überhaupt war der US-kanadische Singer/Songwriter in informeller Plauderlaune und erzählte von seinem gescheiterten Versuch, sich eine Kunstausstellung in Wien anzusehen, was leider von einem dringenden Kauf von Silberrosen und schließlich dem heimtückischen Auftauchen eines Sisi-Museums vereitelt wurde. Rufus Wainwright ist noch von jenem Schlag beziehungsweise jener Generation homosexueller Männer, die nach so einem Bericht lachend sagen: "Ich bin so eine Schwuchtel." Und gut gelaunt das nächste Lied anstimmt.

Vom 2021 erschienenen Album "Unfollow The Rules", das eigentlich eine opulentere Begleitung verlangt, spielte Wainwright schließlich doch ein paar Songs, etwa ein zärtliches Lied für seine Tochter: "My Little You" und das in Tastenfuror mündende "Early Morning Madness".

Sonett und Judy

Die zwei Lieder stehen auch für die Pole von Wainwrights Stimme: Das folklastig Zarte und das opernhaft Dramatische liegen da so nah beieinander, dass es mitunter wirkt, als könne er beides zugleich. Und mit Schmelz und Vibrato hat der Pop-Dandy noch nie gespart - seine Vorliebe für Opern macht sich immer wieder bemerkbar. Immerhin hat er bereits eine eigene ("Prima Donna") im Curriculum Vitae stehen.

Arie gab es dann zwar nicht zu hören, aber das Sonett 20 "A Woman’s Face" von Shakespeare - so eindringlich wurde der Dichter schon lang nicht mehr im Volkstheater beschworen. Seiner Heldin Judy Garland, deren Songerbe er seit einigen Jahren pflegt, widmete er zu ihrem diesjährigen 100. Geburtstag eine anrührende A-Cappella-Version von "Somewhere Over The Rainbow" - nicht ohne auf seine rot glitzernden Schuhe zu zeigen. Pride Month und die aktuelle Frauenrechtesituation in den USA machte er mit "Gay Messiah" zum Thema - eine Ankündigung, meinte er, denn es sei nun wirklich seine Zeit gekommen. "Going to a town" mit der Liedzeile "I’m so tired of you America" klang danach herzzerbrechend traurig. Als Zugabe zeigte er mit seiner reichhaltigen Version von Leonard Cohens "Hallelujah", dass auch noch 700 "DSDS"-Recalls, in denen dieser Song gemeuchelt wurde, er vom richtigen gesungen immer noch unter die Haut geht. Das schafft nicht jeder.