Kommt man heute zufällig an einer gerade bespielten Freiluftbühne oder einem von diversen privaten Bluetooth-Lautsprechern beschallten Park vorbei, mag man es kaum glauben, doch: Früher kam Musik im öffentlichen Raum oder an der frischen Luft kaum bis gar nicht vor.
Zwar dürften bereits unsere frühesten Vorfahren unter dem freien Himmel gemeinsam gesungen haben. Sie taten dies allerdings nicht aus reinem Vergnügen oder zum Zweck der Kulturproduktion, sondern um damit allfälliges durch die Gegend kreuchendes und fleuchendes Getier zu vertreiben. Wie und was genau die Alten auch immer sungen, es war zum Flüchten.
Im Gleichschritt, Marsch!
Bis zum Auftauchen durchgeplanter Aufführungen dauerte es dann noch ein wenig. Mit den sogenannten Dionysien nahmen die Griechen den Eurovision Song Contest dafür gleich um 2500 Jahre vorweg. Während dieser heute in gut aufgerüsteten Mehrzweckhallen über die Bühne geht, wurde damals auf die Steinbauten des zu dieser Zeit noch gar nicht so antiken Theaters vertraut. Zu Ehren des Gottes der Ekstase, des Rausches, der Verwandlung und des Weines ging es bei dieser Frühvariante eines Open-Airs auch darum, im Chor um die Gunst der Jury zu buhlen. Blöderweise war der heute zwischen Mörbisch und St. Margarethen umgehende Anti-Gelsen-Spray damals noch nicht erfunden.
Wurde draußen im Freien gesungen, hatte dies bald aber auch ernsthafte militärische Gründe. Im Gleichschritt, Marsch! So berichtet etwa der griechische Historiker Thukydides (ca. 454-396 v. Chr.) in "Der Peloponnesische Krieg" über die Schlacht von Mantineia im Jahr 418 v. Chr.: "Dann folgte der Zusammenstoß, wobei die Argeier und ihre Verbündeten heftig und zornig vorrückten, die Spartaner langsam und unterm Spiel vieler einstimmender Hoboen, dies nicht der Götter wegen, sondern damit sie gleichmäßig im Takt marschierend an den Feind kämen und ihre Linie nicht risse."
Natürliches Habitat Stadion
Lange bevor in Guantanamo Musik als Foltermethode eingesetzt wurde, diente sie dem sogenannten Homo sapiens also auch zum Zweck der kriegerischen Motivation und Ordnung. Von den Folgen davon kann man im Stadion dann wieder im Jahr 2023 hören, wenn Bruce Springsteen auf großer Welttournee in sein natürliches Habitat zurückkehrt, um mit "Born In The U.S.A." aus dem Leben eines Vietnam-Veteranen zu berichten: "So they put a rifle in my hand / Sent me off to a foreign land / To go and kill the yellow man . . ."
Direktere Vorarbeit dafür, dass das Stadion nicht nur der angestammte Lebensraum von Bruce Springsteen, sondern auch jener von AC/DC, U2, Coldplay oder mittlerweile auch Helene Fischer ist, als durch die Spartaner auf Feldzug wurde dann erst ab dem späten 19. Jahrhundert in London wieder geleistet. Man muss sich die damals aufkommenden Promenadenkonzerte an der Themse wahrscheinlich als Vorwegnahme der Wiener "U-Bahn-Stars" vorstellen - allerdings mit Schubert-Liedern anstelle von Aushilfs- und Ersatz-Ed-Sheerans. Und mit der Entstehung des Newport Folk Festival im Jahr 1959 und folgender Pionierveranstaltungen wie des Monterey International Pop Festival (1967) und natürlich Woodstock (1969) war dann auch eine unmittelbare Brücke ins Heute gelegt. Nur ein geplatzter Hippietraum, der technologische Fortschritt und der Radikalausverkauf an den Kommerz lagen dann noch dazwischen.
Wie man sich erst zuletzt live vor Ort überzeugen konnte, legt man etwa bei Großkonzerten im Wiener Ernst-Happel-Stadion für ein an Hochsommertagen bitter benötigtes Soda mittlerweile fünf Euro (ohne Becherpfand) ab. Von den Ticketpreisen ganz zu schweigen. Längst bezahlt man nicht nur für das Millionenvermögen der Pop-Spitzenverdiener oder dafür, dass wir nicht mehr wie einst vor sechzig Jahren nur noch den Haaransatz des Sängers sehen oder hinten im Juchhe mangels leistungsstarker Verstärkeranlagen kaum mehr etwas zu hören bekommen. Nach zwei zehrenden Corona-Wintern ist das Publikum scheinbar auch wieder (oder noch) bereit, sich trotz Inflation an eines zu erinnern: Musik wurde einst dafür erfunden, live vor Publikum präsentiert zu werden.
Über den Siegeszug der Popmusik hin zur Ersatzreligion als Verstärkereffekt freut man sich auf ein sommerliches Zusammensein unter Gleichgesinnten und einen feierlichen musikalischen Kirchgang. Das ist würdig und recht. Wobei gerade dem Open-Air-Konzert als aerosolbedingtem Hoffnungsträger auf zumindest halbwegs plangemäße Durchführbarkeit in Zeiten der Pandemie eine neue Rolle zukommt.
Konzerte und mehr Konzerte
Mit dem Saisonstart in der Wiener Metastadt mit Konzerten von Element Of Crime (9.7.), Cro (10.7.), Michael Kiwanuka (11.7.) oder Alt-J (16.7.), weiteren Großevents im Ernst-Happel-Stadion zwischen Guns N Roses (13.7.), den Rolling Stones (15.7.) und dem echten Ed Sheeran (1. & 2.9.) sowie zahlreichen Terminen in der Arena von Patti Smith (21. & 22.7.) über Kruder & Dorfmeister (12.8.) bis hin zu Tocotronic (8. & 9.9.) steuert man diesbezüglich auf einen neuen quantitativen Höhepunkt zu.
Wir sprechen von Einzelkonzerten, die zusätzlich zu den großen Open-Air-Festivals stattfinden. Fluchtreflex Fehlanzeige. Viel Luft nach oben dürfte unter dem freien Himmel aber auch nicht mehr bleiben.