Über die Notwendigkeit, sich in Krisenzeiten gedanklich freizuspielen und nicht vollends erdrücken zu lassen, wurden schon viele Lieder geschrieben. Im Kleinen könnte man sich diesbezüglich etwa an Balu aus dem Dschungelbuch und seine Mitsingmelodie gewordene innere Abwehrhaltung "Probiers mal mit Gemütlichkeit" erinnern. Man muss deshalb vielleicht aber auch nicht ganz so weit gehen und zu Hause Bobby McFerrin auflegen, auch wenn man geneigt ist, dessen altes Motto "Dont worry, be happy" aus Gründen langsam doch in Betracht zu ziehen.
Erlösungsgospel
Potzblitz! In großer Not kommt derzeit zum Glück gerade noch rechtzeitig aber auch die schottische Band Young Fathers mit euphorischen Songs um die Ecke gebogen - worüber man durchaus staunen darf. Immerhin wurde das im Jahr 2014 gleich für sein programmatisch "Dead" betiteltes Debütalbum mit dem renommierten britischen Mercury Prize ausgezeichnete Trio ursprünglich mit Musik bekannt, die man nicht unbedingt in die Schublade "Gute Laune" stecken würde.
Zwischen wie auf dem Weg zum Schafott geschriebenen Stücken wie "Hangman" und einer inhärenten Anti-Establishment-Haltung ließ sich die Band zwar selten auf konkrete Aussagen festnageln, sie steuerte zu ihrem eklektischen Genremix aus tribalistisch unterfütterter Spoken-Word-Kunst, Doo-wop, Spiritual und händeringend an den Lord gerichtetem Erlösungsgospel samt beigestellter Elektronik und gutem Gespür für starke Melodien aber immerhin die richtigen Schlagwörter bei.
Unter zusätzlicher inhaltlicher Miteinbeziehung ethnischer Aspekte wie auf ihrem zweiten Album "White Men Are Black Men Too" von 2015 geschah dies etwa auch mit zentralen Fragen wie "Liberated - is that how I feel?" sowie mit schwarzer Körperkunst durchaus im Sinne einer Grace Jones. Man betrachte dazu nur das Coversujet des 2018 erschienenen dritten Streichs "Cocoa Sugar", auf dem sich die Band zumindest zwischendurch auch supersarkastisch gab: "Wow! / What a time to be alive / Wow / Ima put myself first / Everything is so amazing / I said wow!"

"Heavy Heavy"-Albumcover.
- © Ninja TuneZwei Drittel der Young Fathers haben afrikanische Wurzeln. Alloysious Massaquoi wurde in Liberia geboren und kam im Alter von vier Jahren nach Edinburgh, wo sein Kollege Kayus Bankole das Licht der Welt als Sohn nigerianischer Eltern erblickte. Gemeinsam mit Graham "G" Hastings gab die Band bereits in Teenagertagen in örtlichen Clubs erste Konzerte. Im Jahr 2017 waren die Young Fathers gut auf dem Soundtrack zu Danny Boyles Film "T2 Trainspotting" vertreten, im Jahr darauf standen sie im Zentrum eines Skandals. Aufgrund ihrer Nähe der zum Israel-Boykott aufrufenden BDS-Bewegung wurden die Young Fathers aus dem Line-up der Ruhrtriennale geschmissen und schließlich erneut eingeladen, worauf sie ihrerseits mit einer Absage reagierten. Im Interview mit "Deutschlandfunk Kultur" erklärten sie sich dazu so: "Wir kritisieren die Regierung Israels. Wir kritisieren aber auch Menschen, die sich antisemitisch äußern. Antisemitismus unterstützen wir nicht im Geringsten."
Überwältigungsmusik
In den fünf Jahren seither hat sich die Band künstlerisch zwar nicht grundlegend neu erfunden. Mit den gewohnten Kernzutaten, die jetzt noch stärker als bisher auf einen lebendigen Afrozentrismus abzielen, zeugt das nun vorliegende vierte Album "Heavy Heavy" aber von einem geänderten Tonfall. Wenn schon alles den Bach runtergeht, soll das zumindest mit einer letzten Party geschehen.
Mit den zehn neuen, knapp-dringlich in rund 30 Spielminuten gereichten Songs feiern die Young Fathers das Leben am Eingang zur Hölle himmelhochjauchzend statt zu Tode betrübt. In rasendem polyrhythmischem Fiebertraumtempo zu paschenden Handclaps oder feierlich schreitend mit Hang zum finalen Tusch findet die Band euphorisch gestimmt zu neuer Gemeinschaftlichkeit und begeistert bei Stücken wie "I Saw", "Tell Somebody" oder "Holy Moly" mit nichts weniger als mitreißender und wiederbelebender Überwältigungsmusik, der man sich auch als notorischer Trübsalbläser nicht entziehen kann.
Wie es der Titel des auf Yoruba gesungenen "Ululation" neben anderen richtungsweisenden Stücken wie "Sink Or Swim" bereits nahelegt, wird das Juchzen, Jauchzen und Jubilieren dabei mitunter auf ein Maximum gesteigert. Ululieren als Ausdruck der Freude war nicht von ungefähr bereits den alten Griechen bekannt. Ekstase und Untergang in inniger Umarmung: Ein Album des Jahres.