Im Ende waren Algiers - und dann war lange nichts. Das fällt einem am Dienstagabend im Wiener Flex nämlich auch wieder ein, dass die US-Band zuletzt fast auf den Tag genau vor drei Jahren am gleichen Ort aufgetreten ist, um am 22. 2. 2020 eines der allerletzten Konzerte vor dem endgültigen Ausbruch der Corona-Pandemie zu absolvieren.
Jetzt steht das Quartett aus Atlanta, Georgia, also wieder auf der Bühne und eröffnet den Abend gleich einmal mit einem programmatischen neuen Song, der zum notorisch pessimistisch gestimmten Gesamtwerk passend "Irreversible Damage" heißt und über den Sänger Franklin James Fisher bereits im Vorjahr zu Protokoll gab: "So klingt Hoffnung im Jahr 2022, wenn alles zusammenbricht."
Auftakt mit Ansage
Es handelt sich um die erste Vorabsingle ihres am Freitag erscheinenden vierten Albums mit dem bezeichnenden Titel "Shook", das die Band im Rahmen ihrer Welttournee derzeit in einigen europäischen Städten in Auszügen bereits vorab live vorstellt. Bevor in Wien mit der Fieberpredigt "Walk Like A Panther" ein erster Song aus dem schon bekannten Werkkatalog ansteht, geht es mit weiteren neuen Stücken wie dem schnörkellosen "A Good Man", dem aufgeriebenen "I Cant Stand It!" sowie dem gespensternden "Cleanse Your Guilt Here" also mit einer Ansage los.
Immerhin kann die Band mit den 17 auf "Shook" gereichten Songs an neuem Material nicht nur quantitativ aus dem Vollen schöpfen. Nach einer erschöpfungsbedingten Krise im Anschluss an ihr bisher letztes Album "The Underside Of Power" aus dem Jahr 2017 und vor allem die damit verbundene rege Tourtätigkeit - etwa auch im Vorprogramm von Depeche Mode auf ihrer "Global Spirit Tour" - zeigen sich Algiers dabei auch wieder in Hochform. Und sie beweisen nicht zuletzt hörbare Unlust, mit Bewährtem Dienst nach Vorschrift zu schieben.
Druckablass
Die Band hat diesmal einen kollaborativen Ansatz verfolgt und zahlreiche Gäste zu sich ins Studio eingeladen. Neben Zack De La Rocha von Rage Against The Machine oder Future-Islands-Sänger Samuel T. Herring hinterließen vor allem Namen wie Big Rube, Rapperin Backxwash oder die aus Ägypten stammende Sängerin und Produzentin Nadah El Shazly ihre Spuren. Zwar bleiben Algiers auch weiterhin ihrem prototypischen Sound treu, der sich furios zwischen Post-Punk, Doo-wop und Hip-Hop bewegt und Wehklage mit Agitation zu einer Art Soul der letzten Tage vermengt. Stärker denn je erweist sich auf "Shook" diesmal aber das Grenzland zwischen Hip-Hop und Spoken Word als treibende Kraft, mit der diese Band beinahe alles schafft.

Angereichert wird der Gesamtentwurf jetzt außerdem mit einer Dosis freigeistigem Jazz, der sich mit dem trümmerpoetischen "Out Of Style Tragedy" aus guten Gründen auch live auf einen alten Song von Sun Ra bezieht. Dass sich der dabei adressierte "Nuclear War" aber nicht mehr länger als historische Note aus dem Kalten Krieg, sondern als wiedererwachte reale Gefahr unserer Zeitrechnung versteht, sorgt im grundsätzlich nicht sehr heiteren Algiers-Kosmos für weitere Beklemmung.
Selbstverständlich gibt die Band auch an diesem Faschingsdienstag kein Konzert, das gute Laune verbreiten würde. Dafür bekommt man ein Druckablassventil bereitgestellt, das zwischen händedringend an den Lord persönlich gerichtetem Erlösungsgospel und wüster Systemsturz-Raserei nichts von seiner Wirkung verloren hat. Auch wenn sich live derzeit die Situation ergibt, dass Franklin James Fisher zwar teils ordentliche Textkonvolute stemmt, zahlreiche Gesangsparts der Album-Gäste aber trotzdem vom Band zugespielt werden müssen - während die Free-Jazz-Bläser größtenteils ganz ausgespart bleiben und die quer durch "Shook" dicht angelegten Arrangements live ausgedünnt werden, obwohl die Band ihre multiinstrumentale Wendigkeit einmal mehr unter Beweis stellt.
Mit "Fear not!" als finaler Botschaft aus dem neuen Song "Momentary" hätten uns Algiers diesmal übrigens beinahe ein wenig Zuversicht und Trost auf den Nachhauseweg mitgegeben. Der eindringliche Endpunkt wurde mit "Blood" dann aber doch einem bewährten Klagelied überlassen, das noch dunkler ausfiel als die Nacht über dem Donaukanal. Gänsehaut Hilfsausdruck.