Der "Guardian" bezeichnet Anna B Savage aktuell als "one to watch". Das ist schön, aber auch schade. Immerhin hat die britische Songwriterin und Sängerin vor zwei Jahren mit ihrem Debüt "A Common Turn" bereits ein Album vorgelegt, das deutlich mehr als eine Talentprobe war. Umgelegt auf heimische Verhältnisse bedeutet das, dass die aus London gebürtige Musikerin am 2. Mai live im Wiener B72 auftreten wird - und nicht in einer größeren Location, die sie sich eigentlich schon verdient hätte.
Zarte Pinselstriche
Wie bei vielen anderen Newcomern erwies sich die Corona-Pandemie auch für Anna B Savage als Karriere-Bremsklotz. Wobei bei der mittlerweile in Dublin ansässigen Tochter eines Sänger-Ehepaars aus dem sogenannten E-Musik-Bereich auch Selbstzweifel eine gewisse Rolle gespielt haben dürften. Diese prägten nicht nur den Aufnahmeprozess ihres ersten Albums, sondern bisweilen auch die konkreten Ergebnisse. "Creating in a vacuum / Will I ever record this? / Is anyone listening? I cant do it ..."
So scheinbar grundlos die Sorgen von Anna B Savage für die Hörerschaft von außen auch waren, so explizit thematisierte sie ihr Zaudern und Zögern in Songs wie "Dead Pursuits" selbst. Nebenbei wurde aber auch die Kunst der Vogelbeobachtung in ein Stück musikalisches Nature Writing übersetzt oder bei "Chelsea Hotel #3" in Anspielung an Leonard Cohen aus weiblicher Perspektive über eine sexuelle Begegnung gesungen.

Knapp zwei Jahre später hat Anna B Savage jetzt ein nächstes Album im Kasten, obwohl sie mit ihrem Produzenten Mike Lindsay, dem Sänger der britischen Band Tunng, zunächst noch ohne fertige Songs ins Studio ging. Diese wurden erst vor Ort erarbeitet und bezeugen auf dem nun vorliegenden zweiten Streich mit dem Titel "in|Flux" also nicht von ungefähr neue Offenheit. Nichts an den zehn in knapp 42 Spielminuten gereichten Stücken des Albums kommt mit der Brechstange daher. Stattdessen wird ausgehend von Anna B Savages zurückgenommener und sehr gerne zum Vibrato neigender Hauch- und Wisperstimme sowie akustischen oder clean gespielten Gitarren auf zarte Pinselstriche gesetzt. Erstmals seit 15 Jahren hat Savage für die auf dem Album zentralen, wenn auch weitgehend im Hintergrund gehaltenen Bläserarrangements außerdem selbst zu Saxofon und Klarinette gegriffen. Manchmal klingt das dann alles ein wenig verschlafen oder biegt bei einem Song wie "Say My Name" schon einmal in einen verträumt-mäandernden Zwischenteil ab. Das schlägt sich mitunter auch auf der Textebene nieder.
Hundert Jahre Eigenliebe
"Last night, I dreamt we were one / We had sex - I didnt cum": Wenn Anna B Savage wie im Titelstück, das als Ausreißer des Albums sowohl stimmlich als auch in seinem an die Landsleute von Hot Chip erinnernden Gebrauch von Schlagzeug und Synthesizern deutlich forcierter daherkommt, nicht auf beinahe freudianische Weise mit einem zwischenmenschlichen Abnabelungsversuch beschäftigt ist, werden in Songs wie dem programmatisch betitelten "The Ghost" zum Auftakt auch alte Geister, die ganz real umgehen, beschworen.
Die von Anna B Savage sehr nachdrücklich wiederholte Zeile "Stop haunting me - please!" etwa hat den autobiografischen Hintergrund einer toxischen Beziehung, die zwar längst vorbei, aber doch noch nicht überwunden ist. Schnell wird dabei klar, warum Anna B Savage "in|Flux" als ein Album über Dualitäten bezeichnet. Neben der von diversen Stücken vermittelten Abwehrhaltung gegen allzu Zwischenmenschliches sind da ja auch noch die sehnsüchtig sich verzehrenden Stücke wie "Touch Me" oder das gewitzte "Pavlovs Dog", bei dem die Sängerin allein beim Gedanken an ihren Lover zu hecheln beginnt. "Feet Of Clay" wiederum ist es vorbehalten, das Hin und Her zwischen Nähe und Distanz in nur einem Song durchzuspielen: "Im whats called avoidant / Ive been reading about attachment / They say its possible to change / I know I said I wanted you / but that was yesterday ..."
Eine schöne Metapher dafür findet Anna B Savage übrigens, indem sie sich wieder einmal in der Natur umsieht. In "Crown Shyness" beruft sie sich auf das erstaunliche Verhalten von Baumkronen, mit ihrem Gegenüber eben nicht zu verwachsen, sondern Abstand zu halten. Zum Abschluss mit "The Orange" wird, diesfalls unter Lärchen stehend, dann hörbar zu innerem Frieden gefunden. Selbstakzeptanz und hundert Jahre Eigenliebe statt Einsamkeit stehen auf dem Programm. Anna B Savage besingt also ein großes Thema unserer Zeit. Trotzdem sei das Album nicht nur Singlehaushalten nahegelegt.