Mit 17 hat man einem alten Lied der US-Schlagersängerin Peggy March zufolge noch Träume. Wahrscheinlich klingt das Debütalbum des 2005 in Klagenfurt geborenen Sängers und Songschreibers Oskar Haag auch aus diesem Grund so verschlafen. Es hält im Wesentlichen, was sein Titel verspricht: Unter den 13 in 42 Spielminuten gereichten Songs findet sich tatsächlich kein einziger, den man der Kategorie "Teenage Lullabies" nicht zuordnen würde.
Wir hören die akustische Entsprechung dessen, was sich im zerwuschelten Out-of-bed- oder Going-to-bed-Look unter besonderer Berücksichtigung einer gewissen und gewiss schwierigen Lebensphase entweder vor dem Schlafengehen und nach dem Aufstehen - oder dazwischen - abspielt. Man nimmt die Welt als Teenager ja noch besonders erkundend in Angriff und muss das alles in der REM-Phase auch erst einmal verdauen. Wobei von Oskar Haag noch im Kinderzimmer geschriebene Sätze wie "Can you remember / When we were younger / And had no worries at all?" Peggy March Lügen strafen, die im Jahr 1965 weitersang: "Mit 17 kann man noch hoffen / Da sind die Wege noch offen / In den Himmel der Liebe." Vermutlich ist die Jugend von heute aber auch ganz einfach schon weiter.
Fürs Leben lernen

"Teenage Lullabies"-Albumcover.
Oskar Haag gilt als die österreichische Pop-Hoffnung der Stunde. Nach ersten musikalischen Schreibversuchen im Jahr 2019, frühem, von Papa Oliver Welter (Naked Lunch ...) mit unterstützender Hand angestoßenem Radio-Airplay, drei ersten Singles, die jeweils auf Platz eins der FM4-Charts landeten, einem Auftritt beim Popfest 2021 in der Karlskirche sowie seinem Debüt am Burgtheater in William Shakespeares "Wie es euch gefällt" liegt jetzt also sein erstes Album vor. Bevor man den gelernten Schulabbrecher - man lernt ja bekanntlich fürs Leben - an der Seite Birgit Minichmayrs in Anja Salomonowitz Maria-Lassnig-Porträt "Im Land der starken Frauen" im Kino auch noch als jungen Arnulf Rainer bewundern kann, kommt der auf dem eigenen Label Lullaby Records veröffentlichte Longplayer - ein Vertriebsdeal wurde mit Sony Music abgeschlossen - als Talentprobe daher.
Anders als vermutet werden könnte, weil Tempo, Nachdruck und Gesang mitunter doch ein wenig nach Tranquilizer oder Mohnzuzler klingen und sich im Vergleich dazu manchmal auch Lana Del Rey als ADHS-Patientin auf Amphetaminen ausnimmt, scheint Selbstbewusstsein nicht das Problem zu sein. Man betrachte das diesbezüglich etwa sehr mutige Musikvideo zur "Sternderl schaun"-Variation "Stargazing" mit Oskar Haag als David Bowie in "Heroes"-Pose.
Apropos David Bowie. Während dessen androgyner Look der frühen 1970er Jahre unsere genderfluide Gegenwart um Jahrzehnte vorwegnahm und zumindest auch Oskar Haags Bühnenpersona auf Lidschatten und Nagellack setzt, reichen die musikalischen Einflüsse des Albums gerne noch weiter zurück. Über die gesamte Spieldauer auf modernistischen Zierrat verzichtend - sieht man von den da und dort aufgetragenen Keyboardarrangements oder dem einen oder anderen Drumcomputer-Beat einmal ab -, kommen Songs wie "Love Me For Tonight" als aus der Zeit gefallene Lamour-Hatscher daher, für die man auch lieber zwei Groschen in die Jukebox werfen würde als via Streamingdienst einen Bettel zu spenden.
Man hört Oskar Haag als Junge mit der Gitarre und romantisch gestimmten Parabelerzähler wie im Falle von "Lady Sun And Mr. Moon" oder gleich zum Auftakt mit Naked-Lunch-Diplom zu Triangel, Glockenspiel und unterschwellig schmirgelnder Orgel im Bandsound - wobei "Leaving For Monaco Or Wherever" inhaltlich insofern an die Vorabsingle "The Summer We Need" anknüpft, als es hier nicht nur um den juvenilen Aufbruch ins volle Leben, sondern auch um das Frühlingserwachen in einer Phase nach den zehrenden Lockdowns gehen dürfte. Jung ist man schließlich nur einmal.
Für die etwas größere Geste des Albumhighlights "Black Dress" sorgt dann eine Kirchenorgel, bei "Lullaby" geht es am Ende mit einem Gute-Nacht-Dialog wieder ins Bett. Bleibt der eine oder andere Song auch noch etwas simpel, überzeugt Oskar Haag letztlich mit einem: Dieser junge Mann hat das Herz ohne Zweifel am rechten Fleck - und steht mit seinen menschenfreundlich gestimmten Songs auf der Kehrseite der mindestens abgebrühten Pop-Gegenwart. Unsere Mütter fickt Oskar Haag außerdem auch nicht. Gute Sache. Der Rest ist ein Lied, das die Zukunft schreibt.