The Edge zufolge bestand ein Kernziel der Neueinspielungen darin, die Songs klingen zu lassen, "als ob Bono in dein Ohr singen würde". Kunststück. Immerhin liegt zwischen unserem Ohr und dem Sänger und Frontmann der irischen Band U2 im Normalfall ein ganzes Fußballstadion als Respektabstand.

Und das ist auch gut so: Wer etwa die "Sunday Bloody Sunday"-Version kennt, die Bono und seinen Gitarristen im Jänner des Vorjahres beim Versuch zeigt, den 1983 auf dem dritten U2-Album "War" erstveröffentlichen Song akustisch darzubieten, dürfte bereits bei der Ankündigung von "Songs Of Surrender" Panikattacken bekommen haben.

Der nun erscheinende jüngste Streich der Band wird nach mittlerweile sechs Jahren ohne neue U2-Musik also vor allem die Härtesten unter den Fans mit 40 auf vier Alben aufgeteilten Coverversionen konfrontieren. Wobei auch noch die abgespeckte Variante für eine mögliche Laufkundschaft mit 16 Songs recht umfangreich ausfällt. Für sich genommen mögen die Interpretationen reduziert angelegt sein, im Gesamtpaket aber erweisen sie sich dann doch als erschöpfend.

Vorgetäuschte Bescheidenheit

Dass das Ergebnis aber auch nicht als größter anzunehmender Unfall daherkommt, sondern nur als ein weiteres U2-Album, das man in Zukunft vom Weghören kennt, hat wiederum mit einem zu tun: Nicht zuletzt der Personalstab, der etwa für die Aufnahmen von Bonos Gesangs- und Adam Claytons Bassspuren ihren alten Haus- und Hofproduzenten Brian Eno inkludiert, und vor allem das Wunderwerk der Studiotechnik haben dafür gesorgt, dass sich das Drama auf dem Album - anders als live - in Grenzen hält. Ein guter Song ist ein guter Song ist ein guter Song. Oder auch nicht. Das zeigt sich auf "Songs Of Surrender" deutlich, was nicht bedeutet, dass das Hauptaugenmerk auf zurückgenommene, (semi-)akustische Interpretationen auch jedem Lied guttun würde. Schließlich handelt es sich bei U2 nicht nur um eine der kommerziell größten Bands der Rockgeschichte, sondern auch um eine der bombastischsten. Man kann daher diskutieren, ob der millionenschwere Produktions-Tand der Originalaufnahmen nicht das eigentlich Essenzielle an diesen Songs ist. Weniger ist vielleicht manchmal mehr - aber sicher nicht immer.

Bevor U2 erst im Herbst wieder ganz U2 sein werden, um allerdings ohne ihren derzeit erkrankten und temporär von Ersatzmann Bram van den Berg abgelösten Stammschlagzeuger Larry Mullen Jr. zwecks Einweihung einer gigantomanischen neuen Konzerthalle mit einer Residency in Las Vegas einzufallen, wird jetzt also noch schnell neue Bescheidenheit vorgetäuscht. Dass U2 dabei ausgerechnet mit "One" loslegen, ist jedenfalls mutig.

Auf dem Boden der Tatsachen

Immerhin wurde der Song mit einem Cover für sein Album "American III: Solitary Man" erst durch Johnny Cash in seiner Spätphase als alter Meister erträglich. Mit U2 landet er jetzt wieder auf dem Boden der Tatsachen, wobei die Version mit ihrer friedlich in Hall getauchten Klavierbegleitung zum Einstieg in Ordnung geht, bevor "Where The Streets Have No Name" als Klangwolke gewordenes Nichts den Himmel verdunkelt. Man hört U2 als Schatten ihrer selbst, auch wenn man des via Radio Evergreen auf Dauerrotation in Ewigkeit, Amen, gebuchten Originals mit all seinen Klischees um die Arpeggio-Gitarre von The Edge längst überdrüssig sein sollte.

Auch wenn Bonos Stimme heute erheblich dunkler, tiefer und rauer klingt als vor allem in den ganz alten Stücken wie etwa "Out Of Control" von 1980, die neue Version von "Stories For Boys" den jugendlichen Übermut durch Alterssaturiertheit ersetzt und sich die Band mit einem Song wie "The Fly" aus dem 1991 erschienenen Album "Achtung Baby" eine Erweiterung in Richtung Mittlerer Osten genehmigt, zeigt sich dabei doch eines: Wo U2 draufsteht, bleibt U2 drin. Der Kerncharakter der Vorlagen bleibt also auch in den Versionen erhalten, mit denen Hauptprojektleiter The Edge es der Band erlaubt, sich etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen.

Natürlich wäre es nicht U2, würde uns Bono nicht auch die eine oder andere neue (politische) Botschaft mit auf unseren weiteren Lebensweg geben, was sich bereits aus der Umbenennung des Songs "Walk On" von 2000 in "Walk On (Ukraine)" erschließt. Das ist würdig und recht. Leider kommt Bono spätestens mit der partiellen Text-Adaption von "Sunday Bloody Sunday" dann aber wieder allzu sehr bei sich selber an: "Here at the murder scene / The virus of fiction, reality TV / Why so many mothers cry / Religion is the enemy of the Holy Spirit guide / And the battle just begun / Where is the victory Jesus won?"

Wenn die 40-Song-Variante ebenso wie die Standardedition mit dem Song "40" aus dem Jahr 1983 zu Ende geht, werden eher keine neuen Fans gewonnen sein. Die U2-Skeptiker hingegen sind da ohnehin schon über alle Berge. Oder wie es dazu im Psalm 40 heißt, der dem akustischen Schlusspunkt des Albums zugrunde liegt: "Gewähre mir die Gunst, Herr, und reiß mich heraus; / Herr, eile mir zu Hilfe!" (Ps 40,14).