Mit seinem ersten Album unter eigenem Namen passierte etwas Seltsames: Formal tiefstapelnd, wurde "Boys Outside" als das große Werk "enttarnt", das es substanziell war, und fand sich - auffällig oft mit einer eigentümlichen Mischung aus verschämter Rechtfertigung und Entdeckerstolz fundiert - in vielen Bestenlisten des Jahres 2010 wieder. "Ein Anwärter auf die unterschätzteste Platte des Jahres", schrieb die "Wiener Zeitung" damals.

Gleichzeitig gab Steve Mason mit seinem Solodebüt ein Versprechen ab, das er mit seinen nachfolgenden Platten nie gebrochen, aber auch nie ganz eingelöst hat: eine Form zu kreieren, die bei aller artistischen Verstiegenheit, wie man sie von großen Individualisten wie David Byrne, Scott Walker, Mark Hollis oder Tom Verlaine kennt, die wesenhafte Primitivität und Nachvollziehbarkeit von Pop-Musik aufruft.

Therapie

Bei "Boys Outside" schuf sich Mason mit unspektakulär Mainstream-nahem Pop und ein bisschen Folk und Funk ein Setting, in dem er über Albträume und Vergehen gegen sich selbst und verflossene Lebensbegleiterinnen räsonieren konnte. Nachfolgende LPs haben sich dann etwas avancierterer Produktionsmittel bedient und dabei oft vorgeführt, was der sogenannte Britpop im Guten leisten könnte. Aber erst auf seinem neuen Album, "Brothers & Sisters", hat Mason jetzt wieder zu jener aus den Kräften der Konzentration gespeisten Urkraft zurückgefunden, die sein Debüt unter eigenem Namen ausgezeichnet hat.

Zu Beginn dieses Millenniums war der 1975 in Edinburgh geborene Steve Mason als Sänger und kreatives Zentrum der Beta Band schon mit einem Fuß auf der Schwelle zu Popstar-Ruhm zumindest im UK gestanden. Mit dem anderen stolperte er über persönliche Probleme: An Depressionen und Angstzuständen leidend, tauchte er in unberechenbaren Abständen ab und war mit sich und der Welt unzufrieden. Das unbetitelte erste Album der Beta Band (1999), die geradlinigen Pop durch freistilige Elemente und Einflüsse aus Electronica und Trip-Hop mit einer gewissen Sprunghaftigkeit infiltrierte, verwarf er als "fucking awful", worin ihm die Kritik bereitwillig folgte.

Nach zwei besser angenommen LPs und einer karrieredienlichen Referenz auf ihren Song "Dry The Rain" im Film "High Fidelity" löste sich die Beta Band auf. Mason verbarg sich daraufhin hinter Namen, die er indes mit spezifischen Stil- und Sound-Merkmalen ausstattete: King Biscuit Time kann man sich als entfernten britischen Verwandten von Dan Bejars Destroyer vorstellen; mit Black Affair wagte sich Mason an Hip-Hop heran. Alle diese Ausflüge fanden später auf den Platten ihren Niederschlag, die Mason unter eigener Flagge publizierte. Bevor er dazu bereit war, absolvierte er eine Therapie. Nachdem seine Karriere als Solist auf Schiene gekommen war, zog er von den schottischen Wäldern ins etwas hellere Brighton, erwarb ein Haus, heiratete und wurde Vater.

"Brothers & Sisters" hatte eine schwierige Genese - nicht nur pandemiebedingt, sondern auch, weil Mason im Verlauf der Arbeit viel probierte und verwarf. Die Geburtswehen hört man dem Album, das sich als in sich schlüssige Einheit präsentiert, allerdings überhaupt nicht an.

Steve Mason hat in seinem Schaffen nie vor politischen Inhalten zurückgeschreckt - speziell sein 2013er-Album "Monkey Minds In Devil’s Time" spart nicht mit Fingerzeigen auf die Verheerungen des Turbokapitalismus. Das Thema von "Brothers & Sisters" ist der Brexit - und sein Gegenentwurf, nämlich eine multikulturelle, von Scheuklappen und mentalen Fesseln freie Gesellschaft. Ihm trägt Mason, dessen Frau pakistanischer Abstammung ist, auch in der musikalischen Umsetzung Rechnung.

Gospelsänger/innen, Beiträge des pakistanischen Sängers Javed Bashir, asiatische Instrumental- und Melodiespitzen und afrikanische Polyrhythmen begleiten Masons dunkel-beschwörende Stimme bei ihrer Suche nach dem sprichwörtlichen Licht am Ende des Tunnels: Vielfalt, die ein Gefühl von Gemeinsamkeit generiert.