Seine Prominenz ist ihm nicht anzumerken, so gemütlich, wie Sven Regener in einem Hinterzimmer des Café Ritter sitzt. Dabei ist diesem Mann aus Bremen eine Karriere mit Seltenheitswert in der Kulturwelt geglückt: der Durchbruch und dauerhafte Erfolg in zwei Sparten. Regener ist seit den 80er Jahren mit der Band Element of Crime, deren bittersüße Songs er singt, textet und mit seiner melancholischen Trompete beseelt, ein Liebling der deutschen Pop-Intelligenzia. Mit seinem literarischen Debüt "Herr Lehmann" stieg er zudem zum gefragten Autor auf und veröffentlichte seither fünf weitere Romane. Im Interview spricht er über das Bücherschreiben, das neue Element-of-Crime-Album "Morgens um vier" und sein Jazztrio, mit dem der 62-Jährige jüngst Wien beehrte.
"Wiener Zeitung": Sie haben Ihre
Interviews in Wien früher im Café Westend gegeben; das Lokal ist seit dem Vorjahr Geschichte. War das einer Ihrer Lieblingsplätze in der Stadt?
Sven Regener: Das war der Platz. Wir sind 1987 das erste Mal mit Element of Crime nach Wien gekommen und haben im U4 gespielt, wir übernachteten wie alle jungen Bands dieser Art im Fürstenhof, das nächstgelegene Kaffeehaus war dann das Westend.
Apropos Vergangenheit. Ihre Romane spielen mit Vorliebe im vorigen Jahrhundert. Ist der Reiz der Nostalgie ein Grund dafür?
Nein. Für mich ist ein Romanstoff in der Vergangenheit besser, weil ich dadurch mehr Distanz und einen besseren Blick auf die Zeit habe. Aktualitätshuberei ist bei Romanen ja eher Quatsch. Natürlich kann man sie in der Gegenwart spielen und superaktuell sein lassen. Mir ist aber wichtiger, dass sie in 10, 15 Jahren immer noch gelesen werden können. Und dann sind auch die Gegenwartsromane historisch, also was solls!
Ihre Geschichten spielen oft in Berlin, vor dem Millennium. Lag damals eine gewisse Magie in der Luft?
Nein, es hat sich einfach so ergeben. Mein erster Roman, "Herr Lehmann", spielt 1989; mit "Neue Vahr Süd" habe ich dann die Vorgeschichte erzählt, mit Bremen und Bundeswehr, deshalb 1980, und daran schließen die meisten weiteren Romane an. Es sind Geschichten, die davon handeln, wie junge Leute auf unorthodoxe Weise ins Leben reinzukommen versuchen - etwa, indem sie sich künstlerisch betätigen und nicht wissen, wie das ausgeht. Sie gehen einen Weg, der noch nicht vorgetrampelt ist, jedenfalls glauben sie das. Das ist die Idee dieser Romane. Mir ist auch recht egal, wo ein Roman spielt. Aber ich kenne mich nur in Bremen, Hamburg und Berlin wirklich aus. Zum Recherchieren bin ich zu faul.
Sie haben einmal in einem Interview gesagt, Sie versetzen sich beim Schreiben mal in diese, mal in jene Figur.
Ich komme sehr stark über die Figuren zu den Geschichten. Die Figuren entwickeln sich, eines führt zum anderen, dabei kann es auch passieren, dass es zu einem Wechsel der Protagonisten-Rolle kommt.
Kann es für einen Autor schwierig werden, wenn sich sein Roman unerwartet entwickelt?
Kann, muss aber nicht. Es kann auch toll sein, wenn man überrascht wird. Man sollte in der Kunst generell nicht zu sehr ein Kontrollfreak sein, finde ich.
Manche Leute lachen eher über die Pointen in Ihren Büchern, als die Tragik zu bemerken. Schmerzt Sie das?
Wie Sigmund Freud sagt: Humor ist Lustgewinn durch ersparten Gefühlsaufwand. Ich denke, die Menschen bemerken die tragischen Sachen in meinen Romanen trotzdem, es fällt ihnen durch die Pointen aber vielleicht leichter, damit umzugehen. Ich glaube, Humor ist ein wichtiges Distanzmittel, um gewisse Geschichten überhaupt erzählen zu können.
Mir kommt vor, dass bei der Verfilmung von tragisch-komischen Stoffen auf der Leinwand oft das Heitere siegt - etwa bei Michel Houellebecqs "Elementarteilchen".
Der Film ist ein ganz anderes Genre. Es ist oft so, dass die Filmleute einen Romanstoff für das Kino kaufen und dann etwas völlig anderes daraus machen. Das kann gut gehen, es gibt aber auch schlimme Fälle - wenn eine Geschichte wie ein Auto ausgeschlachtet und komplett neu zusammenmontiert wird.
Ist Ihnen so etwas auch schon einmal passiert?
Nein. Aber ich bin auch nicht der Typ, der sich nachträglich beschwert. Man ist selbst schuld, wenn man einen Stoff zur Verfilmung freigibt.
Kommen wir zur Musik: Element of Crime haben seit den 80er Jahren etliche Alben veröffentlicht; es gibt wiederkehrende Themen und Stilmittel, einen vertrauten Tonfall. Haben Sie Angst vor Selbstwiederholung?
Nein.
Wird es leichter oder schwerer, neue Liedtexte zu schreiben?
Weder noch. Jedes Lied ist eine neue Herausforderung. Wir machen immer zuerst zusammen die Musik klar, dann ich den Text. Früher hatte ich manchmal Angst, dass mir mal nichts mehr einfällt. Mittlerweile denke ich, man muss auf die Musik vertrauen, dann kommen die Texte von alleine.
Eine schöne Zeile auf dem neuen Album: "Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder". Ist das eine Kritik an ideologisch aufgeladenen Zeiten, oder lese ich da zu viel rein?
Es heißt in erster Linie das, wovon das lyrische Ich - wer auch immer das ist - singt. Aber man kann es natürlich auch ideologiekritisch lesen, als Tadel an dem Agitprop-Anspruch an Künstler. Es gibt immer einen gewissen Interpretationsspielraum.
Im Video zu dem neuen Lied "Dann kommst du wieder" sieht man Sie an einem vertrauten Ort aus Ihren Romanen und Liedern: in der Kneipe. Stimmt es, dass Sie seit 20 Jahren keinen richtigen Rausch hatten?
Doch, aber keinen Vollrausch. Ich war noch nie ein Freund des Vollrauschs. Das ist eine Art von Kontrollverlust, von der ich nichts halte.
Ist Alkohol nicht gerade unter Musikern, Menschen mit einem stressigen Job, gang und gäbe?
Ich glaube, Drogen und Alkohol werden durch alle Bevölkerungsgruppen konsumiert. Mit 18, 20 war ich am Bau tätig, da ist auch viel Alkohol geflossen. Was die Musiker betrifft: Ich glaube, Musik selbst ist ein gutes Mittel gegen Stress. Wenn Musiker trinken, dann eher, wenn sie sich langweilen, wenn sie Ersatz für die Euphorie des Auftritts brauchen, die Ekstase des Musikmachens verlängern wollen. Aber das ist nur eine Vermutung.
Ein letztes Thema: der Jazz. Sie spielen seit einigen Jahren in einem Trio Jazz-Klassiker, waren damit auch in der Vorwoche im Wiener Porgy & Bess.
Ich habe mit 15 an der Trompete angefangen, weil ich eigentlich Jazz machen wollte. Meine Helden waren Louis Armstrong, Miles Davis, Lester Bowie, Kenny Dorham, Clifford Brown. Dann bin ich musikalisch auf einen anderen Trip gekommen.
Bei Element of Crime setzen Sie die Trompete eher atmosphärisch und passagenweise ein; im Jazz--Genre ist man eine virtuosere Spielweise gewohnt. Haben Sie sich am Beginn des Projekts ein hohes Übe-Pensum verordnet?
Nur bedingt, weil man dann ja auch viel mehr spielt. Uns geht es vor allem um einen direkten, lauten Sound. In einem Trio kann sich keiner verstecken.
Könnte man sagen, Ihr Trio arbeitet bewusst mit einem antivirtuosen Ansatz?
Wir spielen Klassiker der Jazzgeschichte auf unsere Weise und improvisieren dazu; wir arbeiten mit einem gewissen Minimalismus, wozu natürlich auch ein gewisses Können gehört. Virtuosität ist kein Wert an sich, sie ermöglicht bloß gewisse Dinge. Man kann auch als Virtuose langweilen. Aber Anti-Virtuosität ist auch Quatsch. Wissen ist nicht unbedingt Macht, Unwissenheit aber auch nicht. Genauso ist es mit der Virtuosität.