Als Pat Metheny, Gitarrist und Jazzgröße, im Vorjahr auf Youtube aus dem Nähkästchen seiner Kunst plauderte, kam er ausgerechnet auf "Happy Birthday" zu sprechen. Was, auf einen trivialen Ohrwurm? Für Metheny ist das keiner, sondern ein Prachtbeispiel dafür, wie man ein kurzes Motiv pfiffig ausbaut und variiert. Jazzer sollten sich davon ein Scheibchen abschneiden - und in ihren Solos einen roten Faden spannen, statt von einer Idee zur nächsten zu hüpfen.

Tatsächlich ist der alte Ohrwurm verblüffend konsequent gebaut. Singen wir ihn kurz an: "Happy birthday to you": Diese ersten sechs Noten bilden das Kernmotiv, die Keimzelle des kurzen Lieds. Alles, was folgt, sind nur noch Varianten, die elegant zum Anfang zurückführen. Es liegt wohl an dieser Prägnanz (auch hinsichtlich der Worte), dass das Stück weltweit zu einem unzerstörbaren Evergreen geworden ist. Könnte man für jede Privat-Aufführung Tantiemen einheben, die Einkünfte würden bald nach einem Geldspeicher schreien.

"Mister President"

Das geht jedoch nicht. Erstens, weil die Melodie seit acht Jahren dank eines US-Bundesgerichts als Allgemeingut gilt. Zweitens sind die beiden Autorinnen längst verblichen. Vor 130 Jahren ist "Happy Birthday" im Umfeld eines US-Kindergartens zur Welt gekommen. Die Musikerin Mildred Hill aus Kentucky komponierte die Melodie, ihre Schwester, die Kindergärtnerin Patty, steuerte die Worte bei. Das Stück ging dann in ein Liederbuch der beiden ein ("Song Stories for the Kindergarten"), trug damals allerdings noch einen anderen Titel, nämlich "Good Morning To All".

Wie die Musik zu ihrem weltbekannten Titel kam, wird verschiedentlich erzählt. Fest steht, dass "Happy Birthday" ab den 1920er Jahren in seiner heutigen Variante in Liederbüchern prangte und bereits ein Jahrzehnt später in den USA zum Geburtstagsständchen par excellence aufgestiegen ist - so schreibt es der US-Jurist Robert Brauneis in seiner Arbeit "Urheberrecht und das beliebteste Lied der Welt". Mildred Hill erlebte den Aufschwung der Melodie nicht mehr und starb 1916; ihre Schwester konnte die Karriere der Kantilene 30 Jahre länger verfolgen. Eine Sternstunde war aber auch ihr nicht mehr vergönnt: Marilyn Monroe lieferte die aphrodisierendste A-Cappella-Fassung des Ständchens, als sie dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy mit ihrem Schlafzimmergesäusel zum 45. Geburtstag gratulierte.

Das ist aber natürlich nicht die einzige "Happy Birthday"-Fassung, die des Anhörens lohnt. Weil die Melodie so markant ist, lässt sie sich leicht in verschiedenste Stile übertragen. Davon hat auch der Filmmusiker John Williams, weltbekannt etwa für den "Star Wars"-Klangkosmos, Gebrauch gemacht: Seine Variationsfolge - ein Geburtstagsgeschenk für den Dirigenten Seiji Ozawa - lässt die ursprüngliche Kindermelodie galaxiengroß anschwellen. Das klingt kurios und war wohl auch ein wenig komisch gemeint.

Viele "Happy Birthday"-Fassungen zwinkern stark mit den Augen. Etwa eine Streichquartett-Partitur von Peter Heidrich. Der hat "Happy Birthday" zu 14 Variationen verarbeitet, jede eine neckische Stilkopie, auf Bach, Schumann oder Wagner. Ein Spaß für Bildungsbürger - und womöglich eine hübsche Anregung, für das nächste eigene Wiegenfest vielleicht Profi-Streicher zu engagieren. Wobei: Das Schöne an "Happy Birthday" ist eigentlich nicht zuletzt, dass es auch Laien leidlich singen können. Und wenn es doch einmal ein bisschen windschief tönt, kommt es immerhin von Herzen.